· Zwei Tage nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei glich das Krankenhaus der Hafenstadt Izmit am Marmarameer Donnerstag einem riesigen Notlazarett. Betten säumten die Gänge der | Klinik, aus Mangel an Leintüchern waren viele Kranke nur notdürftig in Planen eingehüllt. Bei glühender Hitze arbeiteten 60 Ärzte und rund 100 Pfleger rund um die Uhr, um den Ansturm an Verletzten zu | bewältigen.
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Polizisten teilten vor den Pforten der Klinik die Wartenden in dringende und leichtere Fälle ein. In der Eingangshalle des Krankenhauses wurden Gipsverbände angelegt. Der Hof war zum
Wartesaal geworden. Dort versuchten Soldaten ein Tarnnetz aufzuhängen, um den Menschen wenigstens etwas Schatten zu verschaffen.
Über den Rundfunk hatte das Krankenhaus Mediziner um Verstärkung gebeten. Mehr als 1.500 Verletzte wurden nach den Worten des Arztes Ihsan Atun seit Dienstag Früh eingeliefert. Die schwersten Fälle
mussten nach Istanbul und Ankara weiter geschickt werden. "Die ersten Stunden waren wirklich hart", sagte Atun.
Nachdem der erste Andrang bewältigt war, machten den Medizinern vor allem drohende Seuchen Sorgen: "Mindestens 1.000 bis 2.000 Tote konnten noch nicht beerdigt werden. Uns fehlt das Personal
dazu", erklärte der Arzt. Bei den herrschenden Temperaturen könnten sich leicht Epidemien ausbreiten. Obwohl der Islam eigentlich vorschreibt, Verstorbene so bald wie möglich zu bestatten, haben
viele Familien inmitten des allgemeinen Elends noch gar keine Zeit dazu gefunden. So viele Leichen wie möglich wurden deshalb in ein Kühlhaus am Rande der Stadt gebracht.
Auch das Spital selbst hatte bei dem Erdbeben, dessen Zentrum genau in Izmit lag, Schäden erlitten. Mit Krankentragen transportierten die Mitarbeiter medizinisches Gerät aus dem zerstörten
Flügel des Gebäudes. Ganze Mauern waren eingestürzt, eine riesige gusseiserne Heizung ragte quer über einen Flur. Der Dialyseraum der Klinik war notdürftig zum Operationszentrum hergerichtet worden,
Krankenschwestern hatten die gläsernen Wände mit Laken verhängt.
In der Eingangshalle behandelte die junge Medizinstudentin Nalan seit Stunden mit Erster Hilfe. "Die Meisten, die jetzt noch kommen, haben Knochenbrüche an Armen und Beinen", erzählte sie. Viele
Menschen stünden zudem unter Schock. "Die Angst um ihr Leben hat sie richtiggehend gelähmt."
Am ersten Tag war die Situation noch schlimmer gewesen: Hunderte in Panik aufgelöster Menschen hatten das Krankenhaus gestürmt und ein einziges Chaos ausgelöst. Stöhnende Verletzte lagen auf den
Fußböden, die benachbarten Höfe waren mit Matratzen gepflastert. Das vollkommen überforderte Personal hastete hektisch zwischen den Opfern hin und her. Ein weiteres medizinisches Zentrum von Izmit
ist nur noch eine Ruine. Dort haben die Ärzte am Straßenrand ein Notlazarett aufgebaut.
In Yalova weiter östlich am Marmarameer mussten Helfer ein Feldhospital im Stadion des Badeortes aufbauen. Dort operierten die Ärzte bei drückender Hitze in einem Zelt.