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Das Kreuz mit dem Islam

Von Lea Luna Holzinger

Politik
Theologe Mouhanad Khorchide sorgt auch in Deutschland für Wirbel.
© Holzinger

Wird wegen liberaler Thesen in Österreich und Deutschland angefeindet.


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Wien. "Es gibt nicht den Islam. Es gibt verschiedene Interpretationen, eine Bandbreite an Positionen und Einstellungen zum Islam", sagt Mouhanad Khorchide. Oft musste der Theologe schon diesen Satz sagen. Und ihn verteidigen. In Österreich und in Deutschland, wo er zurzeit unterrichtet. Er lebt eine liberale Auffassung des Islams. Damit macht er sich nicht nur Freunde.

Im Rahmen der Gesprächsreihe "Kulturen im Dialog" am Donnerstag in der Diplomatischen Akademie sprach Khorchide offen jene Probleme an, die ihm momentan seine Kritiker bereiten. Er lehrt seit 2010 am Zentrum für islamische Theologie in Münster. Er verfasste die Bücher "Islam ist Barmherzigkeit" und "Scharia - der missverstandene Gott". Im Dezember 2013 entzog ihm der bundesweite Koordinationsrat der Muslime in Deutschland das Vertrauen und sprach von einem "irreparablen Zerwürfnis". Zu modern waren seine Ansichten zur Religion.

Konträre Positionen

Doch wie kam es dazu? Khorchide erklärt sich die Kritik der islamischen Verbände mit der Bekanntheit seiner Person und dem Zentrum für islamische Theologie. "Ich höre immer wieder: Wenn man in der Mehrheitsgesellschaft gut ankommt, dann ist da etwas nicht ganz koscher", sagt Khorchide. Tatsächlich ist das Interesse an ihm sehr groß. Er traf bereits den Papst und den deutschen Bundespräsidenten. Auch stehen er und das Zentrum für islamische Theologie im medialen Interesse. Khorchide erklärt die hohe Aufmerksamkeit damit, dass es im deutschsprachigen Raum sehr wenig islamische Theologen gebe, da die Migration nach Österreich, Deutschland und der Schweiz primär eine Arbeitermigration war.

Als er sich für die Theologie zu interessieren begann, habe er nicht gedacht, dass das einmal sein Brotjob werden würde. Khorchide stammt aus einer palästinensischen Familie. Er ging in Saudi-Arabien zur Schule, studierte im Libanon und in Wien. Dadurch habe er verschiedene Formen des Islams kennengelernt. Während ihm in Saudi-Arabien vermittelt wurde, dass alle Nicht-Muslime Ungläubige seien, lernte er von seiner Familie einen liberaleren Zugang zum Islam. Besonders geprägt habe ihn seine Großmutter, die betonte, es gehe nicht um die Religionszugehörigkeit, sondern um das Menschsein. "Dass man zwei konträre Positionen des Islam kennenlernt, regt zum Nachdenken an", meint Khorchide. Dadurch seien viele Fragen aufgetaucht, die ihn dazu führten, Theologie zu studieren.

In Wien studierte er Soziologie und wirkte als Imam in einer kleinen Moschee in Ottakring. Wie jetzt in Deutschland hatte er auch während seiner Zeit in Österreich Schwierigkeiten mit einigen seiner muslimischen Glaubensbrüder: Im Rahmen seiner Dissertation verfasste er eine Studie über das Demokratieverständnis islamischer Religionslehrer. Dabei kam heraus, dass ein Fünftel der Befragten die Demokratie ablehnt und es mehr als der Hälfte an pädagogischen Fähigkeiten mangelt. Er wollte mit seiner Dissertation keinen politischen Zündstoff liefern und ließ seine Arbeit für die Öffentlichkeit sperren. Doch ein Exemplar ging automatisch an die Nationalbibliothek, wo es ein Journalist entdeckte und veröffentlichte. Die Studie sorgte für große Aufregung. Die islamische Glaubensgemeinschaft sprach von Diffamierung.

Ruf der Schule in Gefahr

In Münster zeichnet sich nun ein ähnliches Bild der Kritik an Khorchide ab. Die Studierenden in Münster befürchten, dass ihr Ruf durch die Debatte um ihren prominenten Lehrer Schaden nehmen könnte. Khorchide hat Verständnis für seine Schüler: "Die Studierenden leiden darunter, dass sie zurzeit von den muslimischen Verbänden bedroht werden: ‚Wenn ihr da weiterstudiert, werden wir euch nicht anerkennen, wenn ihr später Imame werden wollt‘." Er versteht, dass sich die Studenten fragen: "Was können wir dafür?"

Angst, als Hochschullehrer abgesetzt zu werden, habe er aber nicht, sagt Khorchide. Der Koordinationsrat habe zwar ein Vetorecht bei der Bestellung von Professoren, allerdings nur bei Verstößen gegen religiöse Grundsätze. Sein Vorgänger in Münster, Sven Kalisch habe etwa gesagt, dass es Mohammed als historische Person höchstwahrscheinlich nicht gegeben hätte. Dabei habe es sich um einen Verstoß gegen religiöse Grundsätze gehandelt und die Absetzung sei gerechtfertigt gewesen. Doch solange jemand sage: "Ich glaube an den Koran als das von Gott verkündete Buch", handle man nach den islamischen Grundsätzen - wie man die Schriften interpretiere, sei nicht die Sache des Rates, sagt Khorchide.