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Mitte des Monats entschieden die Mitglieder der französischen Nationalversammlung "mit Respekt vor den Religionsgemeinschaften" das so genannte Kopftuchverbot. Es gilt sowohl für Lehrerinnen als auch für Schülerinnen an staatlichen Schulen. Der Beschluss hat die Diskussion in ganz Europa wieder angefacht. Fast ging dabei unter, dass auch andere auffällige Religionszeichen wie die jüdische Kippa oder das christliche Kreuz unter den Bann der Säkularisierer fallen - allerdings bleibt es den Gläubigen unbenommen, sich ein kleines Kreuz, eine Fatiha-Sure oder einen Davidstern um den Hals zu hängen. Der europäische Umgang mit dem Kopftuch muslimischer Frauen und anderen Religionszeichen bleibt indes alles andere als einheitlich.
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Kein Stück Stoff dient so sehr zur mitunter aufgeregten Diskussion. Das Kopftuch muslimischer Frauen provoziert in der westlichen Welt mit trauter Verlässlichkeit Kontroversen. Die eben aktuelle verdankt Europa dem französischen Parlament. Seit dessen Mitglieder mit eindeutiger Mehrheit das "Kopftuchverbot" besiegelt haben, ist die Frage wieder auf dem gesamteuropäischen Tapet. Die Stimmen, die sich dabei erheben, vermischen sich, Allianzen werden - gewollt oder ungewollt - über ideologische Gräben hinweg geschlossen. Konservative Katholiken verbünden sich mit linken Feministinnen in der Ablehnung dessen, was sie als religiöses Symbol betrachten; Islamisten und Liberale streifen einander in der Rede vom Recht des Individuums auf Religionsausübung.
Kommt die Frage darauf, wie Muslime in Europa ihrer Integrationsbereitschaft und -fähigkeit Ausdruck geben sollen, wird neben der Forderung nach "ordentlichen" Sprachkenntnissen regelmäßig die Frage nach dem Kopftuch aufgeworfen. Als ein sichtbares Zeichen der Religionszugehörigkeit weiblicher Muslime bietet das Stückchen Stoff offensichtlich eine, seiner realen Größe nicht entsprechende, Angriffsfläche. "Das Kopftuch ist ein Platzhalter für andere Themen", meint Amina Baghajati, Sprecherin der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich.
Freilich ist der europäische Umgang mit der Frage von Land zu Land unterschiedlich. Grundkonsens zur Regelung der politischen Aspekten des Religiösen ist der Säkularismus - die Trennung von Kirche und Staat. Frankreich nimmt dabei als streng laizistisches Land - gemeinsam mit der Türkei - eine Sonderrolle ein. Der französische Staat schert sich im Grunde nicht darum, welcher Religion seine Bürger anhängen. Es gibt beispielsweise in Frankreich gibt es keine Statistiken zur Religionszugehörigkeit.
Liberal: Österreich und Großbritannien
Österreich hingegen geht die Sache mit einer liberaleren Gemütlichkeit an. Seit der offiziellen Anerkennung des Islam im Jahre 1912, genießen Muslime hierzulande staatlichen Schutz in der freien und öffentlichen Ausübung ihrer Religion. Zwar gibt es immer wieder, gleichsam in den Nachwehen einer europäischen - häufig deutschen Diskussion - auch hierzulande die Rufe nach dem "Kopftuchverbot". Allerdings verklangen diese bisher so schnell, wie sie auftauchten. Junge Frauen mit Kopftuch gehören inzwischen fast ebenso selbstverständlich zum Erscheinungsbild einer österreichischen Schulklasse wie das Kreuz an der Wand. Auch Lehrerinnen mit Kopftuch gibt es. Hauptsächlich im Religionsunterricht unter Aufsicht der Republik Österreich. Es gab aber auch schon einen weiblichen Klassenvorstand mit Kopftuch. "Die Religionslehrerin fiel dem Direktor einer Wiener Schule als fähige Pädagogin auf", erzählt Baghajati, "Also sprach er sie an." Es stellte sich heraus, dass die Frau auch Mathematik, Biologie, Informatik und Deutsch unterrichten konnte. Ähnlich liberal im Umgang mit religiösen Accessoires ist Großbritannien. Lehrerinnen und Schülerinnen mit Kopftüchern sind selbstverständlich. Zudem ermöglicht das Königreich auch männlichen Sikhs mit Turbanen und muslimischen Frauen mit Kopftüchern den Zugang zum Polizeidienst.
In Österreich stellt sich diese Frage bisher noch nicht. Dennoch kann Werner Sabitzer vom Innenministerium die "hypothetische Frage auf gut österreichisch" beantworten. Wenn es jemals dazu käme, dass sich beispielsweise eine Polizistin zum Islam bekehre und darauf bestünde, Kopftuch zu tragen, müsse man eben über Lösungen nachdenken. "Sie könnte in den Innendienst versetzt werden", sagt Sabitzer, "Oder sich um die Aufnahme in den Kriminaldienst bewerben." Da gelte keine Uniformpflicht, also könne die Uniform auch nicht durch das Kopftuch gestört werden.
Deutschland: Untertöne eines Kulturkampfes
Komplizierter wird die Angelegenheit in Deutschland. Im Gegensatz zu Frankreich, dass sich zumindest auf seine laiizistische Tradition berufen kann, findet sich die Debatte um das Kopftuch bei unseren nördlichen Nachbarn auf wundersame Weise immer wieder in der Andeutung eines Kulturkampfs.
Im September letzten Jahres entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe im Fall der angehenden Grundschul-Lehrerin für Deutsch und Englisch Fareshda Ludin, einer Deutschen muslimischen Glaubens, dass ihr das Tragen des Kopftuchs im Unterricht nicht verwehrt werden dürfe. Allerdings begründete das Gericht sein Urteil mit fehlenden gesetzlichen Bestimmungen in Baden-Würtemmberg, wo der Rechtsstreit seinen Anfang genommen hatte. Ein für Deutschland verbindliches Urteil sprachen die Richter also nicht. Sie spielten mit ihrer Forderung an die Bundesländer, die "bislang fehlenden gesetzlichen Grundlagen" für ein angemessenes Maß "religiöser Bezüge" in den Schulen zu schaffen, den Ball an die Parlamente zurück und gaben so den Startschuss zu einer intensiveren Diskussion.
Der deutsche Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde hat denn auch kürzlich seine Ablehnung des Kopftuchverbots für Lehrerinnen im öffentlichen Dienst bekräftigt. Er fürchte, "dass am Ende die öffentliche Wirksamkeit der Religion so zurückgedrängt wird wie in Frankreich". Jene, die sich in der Kopftuchdebatte "an vorderster Front engagieren", übersähen offenbar nicht die Konsequenzen ihres Handelns und "tun, was sie nicht wollen", warnte Böckenförde. Er sei besorgt, dass man nicht bereit sei, "die gleiche Freiheit, die man für sich selbst will, auch anderen zuzuerkennen".
Neutralitätsgebot kontra Religionsfreiheit
Der Wiener Anwalt Alfred J. Noll, sieht es ähnlich, wenn auch unter anderen Voraussetzungen. Es gelte, so der Dozent für öffentliches Recht, zu unterscheiden. Einerseits müsse das Neutralitätsgebot des Staates genüge getan werden, andererseits sei auch die Freiheit der Religionsausübung zu beachten. "Schülerinnen muss es absolut frei stehen, das Kopftuch zu tragen"; sagt Noll, "Sonst müssen Mädchen, die es tragen auf private Koranschulen ausweichen." Eine Gefahr, die auch Amina Baghajati sieht. Da es den Geboten des Islam widerspreche, Mädchen Bildung vorzuenthalten, müßten eben Schülerinnen, die Kopftuch tragen, in Schulen gehen, die ihnen dies auch erlaubten.
Anders bewertet der Noll die Sachlage bei Lehrerinnen. Als öffentliche Einrichtung sei der Staat zur Neutralität verpflichtet: "In diesem Sinne auch Kreuze raus aus der Klasse." Es gäbe zwar keine "Master-Antwort", tendenziell aber neige Anwalt Noll aber zum Kopftuchverbot für Lehrerinnen. "Ich will ja auch nicht, dass Beamte im Dienst Parteiabzeichen tragen."
"Das ist ein Hut" - Verbot in der Türkei
"Meine Herren, was Sie hier sehen ist ein Hut!" - mit diesen Worten vor Abgeordneten der Nationalversammlung leitete der türkische Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk im August 1925 die "Kleidungsrevolution" ein. Den Frauen untersagte er deshalb den Schleier und den Männern Turban und Fez. Es wird heute noch erzählt, dass der "Vater der Türken" gar ein Dorf bombardieren wollte, weil er dort einen Mann mit Turban gesichtet hatte.
Die heutige Regierung der gemäßigten Islamisten der AK-Partei unter Premierminister Reccep Tayyip Erdogan versucht zwar die strengen Regeln der säkularen Türkei zu verwässern, allein bislang vergeblich. Die sichtbaren Symbole der islamistischen Bewegung, das Kopftuch der Frauen und der Vollbart der Männer, sind im öffentlichen Dienst weiterhin gesetzlich verboten und gesellschaftlich weitgehend unerwünscht. Lehrer(inne)n und Schüler(inne)n ist das Tragen islamischer Kleidung - selbst an den religiösen Imam-Hatip-Schulen - verboten. Dozenten, Beamte und Professoren, die verschleierten Studentinnen die Teilnahme an Vorlesungen und Prüfungen erlauben, haben mit Disziplinarmaßnahmen zu rechnen.
Religiöse Grundlagen
"Und sprich zu den gläubigen Frauen, dass sie ihre Blicke niederschlagen und ihre Scham hüten und dass sie nicht ihre Reize zur Schau tragen, es sei denn, was außen ist, und dass sie ihren Schleier über ihren Busen schlagen..." (Koran, Sure 24, Vers 31)
Die meisten Musliminnen, die daran festhalten, das Kopftuch zu tragen, tun es, weil sie dem religiösen Gebot nachkommen wollen, wonach Frauen wie auch Männer bestimmte Körperteile nicht öffentlich zur Schau stellen sollen. Eine Regelung, die durchaus auch dem christlichen und jüdischen Sittenverständnis entspricht. Zu diesen Körperteilen sollen im Islam für Frauen auch die Haupthaare zählen. Dies ist insofern eine Auslegungsfrage, als im Koran (24/31) die Körperteile nicht einzeln genannt oder aufgezählt werden, sondern allgemein von Reizen und Zierde die Rede ist.
Es handelt sich daher um eine religiöse Sittenvorschrift, die allerdings je nach Auffassung und nach den lokalen Bräuchen strenger oder weniger streng gehandhabt werden kann.