Italien steht vor Wahlrechtsreform, die endlich mehr Stabilität bringen soll.
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Rom. Die Italiener haben eine verhängnisvolle Faszination für den sogenannten starken Mann. Das hat sich zuletzt nicht nur beim Phänomen Berlusconi, sondern auch bei anderen Protagonisten gezeigt. Erst wurden Ex-Premier Mario Monti, dann auch der Komiker und Chef der alternativen 5-Sterne-Bewegung Beppe Grillo gefeiert, bevor sie sich mit taktischen Fehlern ins Abseits manövrierten. Jetzt leuchtet in Rom der Stern von Matteo Renzi, des neuen Parteichefs der Sozialdemokraten (PD). Denn dem Bürgermeister von Florenz ist nun gelungen, was Italiens Politik seit 20 Jahren nicht geschafft hat. Der 39-Jährige hat mit den entscheidenden politischen Akteuren, darunter auch seiner eigenen Partei, einen Pakt über die Reform des Wahlrechts und der Verfassung geschlossen.
Wahlgesetze und Verfassungsreformen sind oft eine mühsame Materie. Im Fall Italiens ist von der Reform, die sich jetzt abzeichnet, aber eine deutliche Wende im ebenso festgefahrenen wie volatilen parlamentarischen Betrieb zu erwarten. Italien hatte seit 1945 62 Regierungen. Politische Stabilität gab es so gut wie nicht. Dafür entstehen ständig neue politische Kleingruppierungen, die in Regierungsbündnissen starken, manchmal auch erpresserischen Einfluss üben.
Der Renzi-Pakt sieht für den Einzug ins Parlament eine Fünf-Prozent-Klausel vor. Damit dürfte sich der Einfluss der Miniparteien in Italien deutlich verringern. Würde heute mit dem neuen Gesetz gewählt, wären gerade einmal drei Parteien im Parlament vertreten. Im Moment sind es mehr als ein Dutzend.
Renzi ist das Kunststück gelungen, die meisten Streithähne unter einen Hut gebracht zu haben. Nur wenige Beobachter prognostizierten zuvor einen Erfolg der Verhandlungen. Zu provokant war für viele das Vorgehen des neuen PD-Parteichefs, der ebenso zielgerichtet und pragmatisch wie unsensibel im Hinblick auf die Befindlichkeiten der eigenen Partei vorgeht. Am Montag war deshalb PD-Präsident Gianni Cuperlo zurückgetreten, der sich persönlich von Renzi angegriffen fühlte.
Renzi holte auch Silvio Berlusconi mit an Bord
Trotz interner Kritik hatte Renzi den umstrittenen Ex-Premier Silvio Berlusconi zu Beratungen im römischen Parteisitz empfangen. Der Bürgermeister argumentierte, er sei für die Reform auf die Stimmen der größten Mitte-Rechts-Partei Forza Italia angewiesen, deren Chef Berlusconi trotz seiner Verurteilung wegen Steuerhinterziehung und seines Parlaments-ausschlusses de facto weiterhin ist. Trotz ihrer Einwände sprach sich die PD-Parteispitze mit großer Mehrheit für die Gesetzespläne aus. Auch die an der Mitte-Links-Regierung beteiligte Partei Neue rechte Mitte (Ncd) von Innenminister Angelino Alfano zeigte sich aufgeschlossen.
Ein neues Wahlgesetz ist überfällig. Die bisher geltende Regelung, die den Einfluss von Kleinparteien stärkte und einen unverhältnismäßig großen Mehrheitsbonus vorsah, war im Dezember vom Verfassungsgericht kassiert worden. Gleichzeitig wählten knapp drei Millionen Italiener Renzi im Dezember zum PD-Parteisekretär. Nach jahrelangem Stillstand kam so erstmals wieder Bewegung in die Verhandlungen. Renzi will das "Italicum" genannte Gesetz innerhalb von vier Monaten verabschieden lassen. Neben der Fünf-Prozent-Klausel sollen ein ausgewogener Mehrheitsbonus für die stärkste Partei sowie die Option einer Stichwahl für klare Verhältnisse im Abgeordnetenhaus sorgen.
Zugleich wird der Senat in eine zweite, untergeordnete Kammer der Autonomien umgewandelt. Seine Mitglieder werden künftig nicht mehr gewählt, sondern von Regionen oder Kommunen entsendet. Das soll zur Einsparung von Diäten führen und die schnellere Verabschiedung von Gesetzen fördern.
Kritisiert wird vor allem, dass Italiens Wähler auch künftig keinen Einfluss auf die Auswahl der Parlamentarier haben werden. Das Verfassungsgericht hatte dies aber gefordert. Im Machtpoker bestand Berlusconi jedoch darauf, die Listen-Kandidaten selbst bestimmen zu dürfen. Der Entwurf hat somit auch klare Schwächen, ist aber ein vorzeigbarer Kompromiss. Bringt Renzi ihn nun auch ins Ziel, wäre für Italien viel erreicht. Sein Stern könnte dann wesentlich länger glühen als der seiner Vorgänger.