Auf eine vorsichtige Annäherung folgten prompt Zwistigkeiten: Vor dem Gipfeltreffen der Präsidenten Joe Biden und Wladimir Putin in zwei Wochen tauschen die USA und Russland wieder Unfreundlichkeiten aus.
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Beinahe konnte es in den vergangenen Wochen den Eindruck erwecken, das völlig zerrüttete Verhältnis zwischen Russland und den USA hätte sich entspannt. Nach Monaten sich ständig hochschaukelnder Spannungen schien erstmals so etwas wie eine vorsichtige Verständigung zwischen dem neuen US-Präsidenten Joe Biden und seinem russischen Widerpart Wladimir Putin möglich. So wurde das Treffen zwischen Russlands Außenminister Sergej Lawrow und seinem amerikanischen Amtskollegen Antony Blinken am Rande des Arktischen Rats in Reykjavik vor knapp zwei Wochen nicht wie befürchtet zum großen Showdown. Obwohl die Interessen der USA und Russlands gerade auch in der arktischen Region alles andere als deckungsgleich sind, blieb die Atmosphäre zwischen Blinken und Lawrow freundlich-zivilisiert.
Selbstverständlich war das nicht, hatte man zuvor doch im Wesentlichen Unfreundlichkeiten ausgetauscht. So stimmte etwa Biden in einem Interview der Aussage des Fragestellers zu, dass Putin ein "Killer" sei. Der Kreml-Chef wiederum, dessen Staatsmedien Bidens Vorgänger Donald Trump bevorzugten und den Demokraten unter Dauerbeschuss nahmen, ließ mehr als 100.000 russische Soldaten an der Grenze zur Ukraine Manöver abhalten. Ein großer Krieg schien wieder möglich.
Plötzliches Entgegenkommen
In den vergangenen Wochen war dann plötzlich vieles anders. Vielleicht auch deshalb, weil die USA Russland in einer für den Kreml enorm wichtigen Frage ein Stück weit entgegenkamen: Nachdem Washington europäischen Firmen, die am Bau der Pipeline Nord Stream 2 beteiligt sind, lange mit Sanktionen gedroht hat, verzichtete es vor rund zwei Wochen plötzlich auf Strafmaßnahmen gegen die Betreibergesellschaft Nord Stream 2 AG. Der Grund: Man wollte die Beziehungen mit Deutschland und anderen europäischen Verbündeten nicht belasten. Obwohl russische Institutionen, die mit Nord Stream 2 in Zusammenhang stehen, sehr wohl sanktioniert wurden, wurde der Schritt als Entgegenkommen der USA nicht nur gegenüber den europäischen Verbündeten, sondern auch gegenüber dem Rivalen Russland gewertet. Die oppositionellen Republikaner in Washington sprachen polemisch bereits von einer "Biden-Putin-Pipeline". Jedenfalls schuf die freundlichere Atmosphäre auch die Voraussetzungen dafür, dass sich Moskau und Washington auf einen Termin für das Gipfeltreffen zwischen Putin und Biden einigten. Es findet am 16. Juni im schweizerischen Genf statt.
Grund für Washingtons plötzliche Milde gegenüber dem Kreml könnte auch eine Akzentverschiebung in der Außenpolitik sein: Zwar behandelte der neue US-Präsident sowohl Moskau als auch Peking von Anbeginn seiner Präsidentschaft an als geopolitische Hauptkonkurrenten. Streckenweise war - Stichwort "Killer" - die Rhetorik Putin gegenüber sogar noch schärfer. Dennoch ist auch Biden klar, dass die größte Bedrohung für die Weltmacht USA nicht vom angeschlagenen russischen Riesenreich, sondern von der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China ausgeht. Ein "Reset" mit Russland, wie ihn Bidens Vorvorgänger Barack Obama zu Beginn seiner Präsidentschaft versuchte, wäre so gesehen durchaus in amerikanischem Interesse.
Misstrauen dominiert
Kommen wird es dazu aber wohl nicht. Denn ein ehrlicher Reset würde Vertrauen voraussetzen, und das ist zwischen den beiden Mächten weniger denn je vorhanden. Russland laboriert immer noch am Zusammenbruch der UdSSR und hegt gegenüber der westlichen Führungsmacht Revanchegelüste. Viele in Moskau unterstellen Washington zudem, Russland aufteilen oder wenigstens die Kontrolle über das Land erlangen zu wollen. Den USA wiederum, von ihrer Rolle als unverzichtbare Nation mit klarem Wertefundament überzeugt, fällt es schwer, sich in die Lage Russlands hineinzuversetzen. Eine echte Verständigung scheint da so gut wie unmöglich.
Das wurde auch in den vergangenen Tagen wieder deutlich, als Russland und die USA wieder einmal über Menschenrechte stritten. Während Biden erklärte, bei dem Treffen in Genf deutlich machen zu wollen, dass die USA nicht zusehen würden, wie Russland Menschenrechte verletze, drehte Lawrow wie gewohnt den Spieß um: Man sei bereit, darüber zu diskutieren, müsse dann aber auch die Probleme ansprechen, die die USA mit den Menschenrechten hätten. So beobachte Russland etwa die "Verfolgung" der Verantwortlichen der Erstürmung des US-Kapitols Anfang Jänner genau. Moskau wolle deshalb den "Schutz der Rechte der Opposition" in den USA ansprechen.
Transatlantische Bande
Bei den Beratungen Bidens mit den Europäern wird dies hingegen wohl kaum ein Thema sein. Das Treffen steht noch vor jenem mit Putin auf Bidens Programm. Bereits am 11. Juni nämlich reist der US-Präsident nach Europa, wenn auch zuerst in ein ehemaliges EU-Land. In Großbritannien steht der G7-Gipfel an, danach geht es zum Nato-Treffen in Belgien. In Brüssel ist dann am 15. Juni auch eine Zusammenkunft mit EU-Spitzenvertretern geplant. Was der Fokus der Gespräche sein soll, hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits vor einiger Zeit umrissen: Kampf gegen die Corona-Pandemie, Stärkung der Demokratie, außenpolitische Anliegen. "Wir haben viel gemeinsam zu tun, vom Klimawandel bis hin zu Gesundheit, vom Handel und Multilateralismus bis hin zu geopolitischen Herausforderungen", erklärte sie via Twitter.
Biden will die transatlantischen Bande, die unter Trump stark belastet wurden, wieder enger knüpfen. Das hatte er schon bei einem Videoauftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar deutlich gemacht und Ende März, ebenfalls virtuell, bei einem EU-Gipfel bekräftigt.
Alle Meinungsunterschiede werden freilich nicht beseitigt werden. Nicht zuletzt Nord Stream 2 birgt noch immer Konfliktpotenzial.