Der seit über 40 Jahren in Kolumbien tobende Bürgerkrieg hat bisher über sieben Millionen Menschen um ihre Heimat gebracht. Martin Gottwald war fünf Jahre lang für das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR in Südamerika, um die Vertriebenen vor der Abschiebung in den Tod zu bewahren und ihnen zu einem fairen Asylverfahren in den mit Flüchtlingsagenden wenig erfahrenen Nachbarländern zu verhelfen.
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So groß die Freude über die in Kolumbien befreiten westlichen Geiseln ist, so wenig Beachtung findet die katastrophale humanitäre Lage der einheimischen Bevölkerung. "Dafür muss man ein Bewusstsein schaffen", appelliert der österreichische UNHCR-Experte Martin Gottwald, der von April 2000 bis Jänner 2003 für kolumbianische Flüchtlinge in Südamerika im Einsatz war. Er spürte Flüchtlingsströme entlang der 600.000 Kilometer langen kolumbianischen Grenze im dichten Regenwald auf, kümmerte sich um humanitäre Hilfe für die Betroffenen und versuchte ihnen in den Nachbarstaaten ein ordentliches Asylverfahren zu verschaffen.
Zu tun gab es genug. Neben den rund 2,1 Millionen Binnenflüchtlingen zwang der Krieg gut fünf Millionen Kolumbianer ins Ausland. "Es gibt keinen sicheren Platz mehr in Kolumbien", sagt Gottwald. In den letzten fünf bis zehn Jahre sei die Situation eskaliert. Die perfekte Vernetzung innerhalb der Kriegsparteien gewährleiste flächendeckenden Terror für die Zivilbevölkerung. "Einmal auf einer Todesliste von Guerilla oder Paramilitärs, kann landesweit jede Straßensperre das Ende bedeuten", umreißt der Flüchtlingshelfer die ausweglose Situation. Um auf diese Listen zu kommen, reicht die Aussage eines missgünstigen Nachbarn oder die Veröffentlichung eines kritischen Artikels.
Spirale der Gewalt
Gottwald skizziert den Alltag für die ländliche Bevölkerung: Die FARC-Kämpfer kommen ins Dorf und verlangen Verpflegung. Im Falle einer Weigerung nehmen sich die Guerilleros nach wahllosen Erschießungen mit Gewalt, was sie brauchen. Tags darauf richten die Paramilitärs für die "Kollaboration" mit der FARC ein Massaker an. Noch einen Tag später wollen die Rebellen wiederum ihre Verpflegung - ein mörderischer Teufelskreis.
Daher hat das UNHCR 2002 neue Richtlinien für die Ankerkennung von Flüchtlingen aus Kolumbien herausgegeben. Demnach gibt es für viele von ihnen keinen andere Überlebenschance als die Flucht. Im selben Jahr mussten um die 200.000 Menschen nach Ecuador, Venezuela, Panama oder andere Nachbarländer flüchten, in denen der Flüchtlingsstatus rechtlich zum Teil gar nicht oder nur mangelhaft geregelt wird. So hat Venezuela erst 2001 ein Asylgesetz erlassen und im Juli 2003 eine entsprechende Behörde installiert.
Ohne UNHCR-Hilfe wären die Vertriebenen der Willkür der Behörden völlig ausgeliefert, erzählt Gottwald. So habe er die Flüchtlinge im unwegsamsten Gelände vor der jeweiligen Armee finden und registrieren müssen. Erst durch den UNHCR-Ausweis existieren die Menschen offiziell und haben teilweise auch Zugang zu medizinischer Versorgung. Eine Chance auf Asyl gibt es auch dann nur mit einem rechtlichen Beistand, da die Befragungen der Behörden gerne tendenziös zu Ungunsten der Asylwerber geführt werden.
Der entglittene Krieg
Was im Kolumbien der 60er Jahre als ideologisch motivierter Kampf gegen den Schulterschluss des Establishments begonnen hat, ist inzwischen zu einem erbarmungslosen Krieg mit modernsten Waffen um territoriale Kontrolle und Drogengeld zwischen der marxistischen Guerilla, den rechtsextremen Paramilitärs und der Armee verkommen, der seit 1985 rund 200.000 Todesopfer gefordert hat. "Dabei hätte Kolumbien so viel Potential", schwärmt Gottwald, "aber es braucht dringend Frieden".