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Das Land braucht einen Putsch

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Österreichs Kräfte der Beharrung wehren sich schon, bevor sie von der Regierung ernsthaft attackiert werden.


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Dass der designierte Bundespräsident Alexander Van der Bellen nun vorschlägt, die Verfassung zu ändern, um die Rechte des Staatsoberhauptes zu beschneiden, ist ja ganz herzig und nett. Wesentlich dringlicher wäre es freilich, nicht (nur) die Verfassung der Republik zu ändern, sondern vor allem die nirgendwo niedergeschriebene Realverfassung des Landes einer eher heftigen Dekonstruktion zu unterziehen.

Mehr noch: Weil sich all jene, die vom Status quo dieser Realverfassung profitieren, mit Händen und Füßen gegen jede Änderung wehren werden, braucht es vermutlich nicht weniger als einen Putsch gegen die Realverfassung, um das Land endlich aus den Händen der Kräfte der Beharrung, der Reformverweigerung und des permanenten "Geht nicht" zu befreien. Der Bundespräsident als Anführer und Schutzherr eines derartigen Putsches gegen die Realverfassung, das hätte was.

Wie diese Realverfassung an vielen Fronten die dringlich notwendigen - und von der Regierung möglicherweise spät, aber doch erkannten - Renovierungsarbeiten an der Organisation des Staates behindert, hat noch jeder Politiker dieses Landes erkennen müssen, der ernsthaft versucht hat, etwas zu ändern.

Es ist dies eine Realverfassung, in der die Landeshauptleuten deutlich mehr Macht haben als in der geschriebenen Verfassung vorgesehen; in der die Landeshauptleutekonferenz manchmal wie eine Art Überregierung daherkommt, obwohl sie überhaupt kein Verfassungsorgan ist; in der Wirtschafts- und Arbeiterkammer wie gesetzgebende Körperschaften agieren, die sie nicht sind und nicht sein sollen, noch dazu mit einer in der geschriebenen Verfassung einbetonierten Zwangsmitgliedschaft privilegiert; in der Bauern es schaffen, Risiken auf die Steuerzahler abzuwälzen; in der Beamte sich erfolgreich gegen ihnen unzumutbar erscheinende Eingriffe in die Komfortzone ihrer Arbeitswelt wehren können, vor allem in Wien; und in der sogar eine Lehrergewerkschaft mit der Regierung verfährt, als wäre sie und nicht die Steuerzahler der Eigentümer der Schulen. Die Liste ist nahezu beliebig erweiterbar, wie der gelernte Österreicher weiß.

Ohne einen echten Putsch gegen all diese und noch viele andere Kräfte der Beharrung in allen Lagern wird die längst notwendige Sanierung des Landes nicht wirklich gelingen kön-
nen, sondern werden nur kosmetische Verschönerungen möglich sein.

Das ist insofern schlimm, als genau diese Kräfte in erheblichem Ausmaß darüber entscheiden, wer in dieser Republik die entscheidenden Führungspositionen besetzt, die ihre Entmachtung betreiben könnten.

Ein politischer Teufelskreis, der extrem schwer zu durchbrechen sein wird, selbst wenn Christian Kern und Reinhold Mitterlehner dies ernsthaft vorhaben sollten.

Die jüngsten, ohnehin sehr taktvollen und sensiblen Hinweise des Vizekanzlers an die Sozialpartner, ihr Rollenverständnis zu überdenken, vor allem aber deren reflexhafte Ablehnung hat einen kleinen Vorgeschmack auf die künftigen Kämpfe gegeben. Viel Spaß, kann man da nur sagen. Die bittere Wahrheit ist wohl: Wirkliche Veränderungen sind in einer westlichen Demokratie fast immer erst möglich, wenn der Staatsbankrott unmittelbar bevorsteht und die Troika schon startklar ist. Aber das kann ja noch werden.