Phnom Penh/Wien. Im kambodschanischen Gefängnis Tuol Sleng spielten sich unfassbare Szenen ab: Inhaftierte wurden an die Wand gefesselt und mit Elektroschocks bearbeitet. Das Wachpersonal riss Gefangenen mit Zangen die Brustwarzen aus. Weinen, Lachen und Schreien waren verboten, sonst setzte es Prügel bis zur Bewusstlosigkeit. Nicht mehr als sieben von etwa 14.000 Gefangenen überlebten die Qualen.
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All dies geschah zwischen 1975 und 1979, als die Roten Khmer an der Macht waren. 30 Jahre später steht Kang Kek Ieu alias Duch, der damalige Leiter des Foltergefängnisses, vor Gericht. Er muss sich ab Dienstag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten.
Duch wird vom Rote-Khmer-Tribunal angeklagt. Dabei handelt es sich um einen gemeinsam von der UNO und der Regierung in Phnom Penh eingesetzten Strafgerichtshof. Kambodschanische und internationale Juristen sollen die Verbrechen der Roten Khmer aufklären.
Das Regime des bereits verstorbenen Pol Pot wollte Kambodscha mit aller Gewalt zum reinen Agrarstaat machen. Die Herrschaft der Steinzeitkommunisten bezahlten 1,7 Millionen Menschen und damit fast ein Drittel der Bevölkerung, mit dem Leben. Sie starben an Unterernährung und mangelnder medizinischer Versorgung. Oder sie wurden ermordet, oft mit Schaufeln erschlagen, um Munition zu sparen.
Zweifel am Gericht
Es hat lange gedauert, bis nun der erste Prozess beginnen kann. Die 27 Richter wurden bereits im Juli 2006 vereidigt. Zunächst muss sich nur Duch verantworten, den weiteren Angeklagten wie etwa dem 82-jährigen Ex-Außenminister der Roten Khmer, Ieng Sary, soll nicht vor 2010 der Prozess gemacht werden.
Für Kritiker des Tribunals ist dies ein Indiz dafür, dass das Gericht nicht frei agiert. Kambodschanische Politiker würden Druck auf die einheimischen Richter ausüben, die Prozesse zu verschleppen, da ehemalige Rote Khmer in der Regierung sitzen, lautet ein oft wiederholter Vorwurf.
Die kambodschanische Seite streitet die Vorwürfe ab, doch haben diese Verunsicherung erzeugt. Viele Opfer der Roten Khmer, die Angehörige verloren haben oder selbst gefoltert wurden, befürchten, dass ihnen das Tribunal keine Gerechtigkeit bringen wird.
Ein weiteres heiß diskutiertes Thema ist, dass bisher nur fünf hochrangige Kader der Roten Khmer angeklagt wurden. Vor allem in den ländlichen Regionen fordern viele, dass auch die unteren Schergen vor Gericht landen, erzählt Sothara Muny vom psychosozialen Institut TPO. Denn in den Dörfern kennen die damaligen Opfer die Täter, schließlich leben sie heute Tür an Tür.
Sothara betreut Zeugen des Tribunals. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" berichtet er, dass viele Opfer der Roten Khmer bis heute traumatisiert sind. Alpträume, Angstzustände und Nervenleiden suchen sie heim. Es wird erwartet, dass durch die Prozesse die psychischen Leiden wieder verstärkt auftreten.
Gleichzeitig würden die Traumatisierten durch das Tribunal erstmals Betreuung erhalten, sagt Rabea Brauer, die für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Phnom Penh arbeitet. Zuvor waren die psychischen Nachwirkungen des Gewaltregimes kein Thema. Und generell habe der Gerichtshof eine breite öffentliche Diskussion über die Zeit der Roten Khmer in Gang gesetzt, erläutert Brauer.
Berichte der Opfer
30 Jahre lang wurde die Vergangenheit großteils verdrängt. Nun sind die Sitzungen des Tribunals in vielen Städten auf Leinwänden zu sehen. Menschen erzählen in Radiosendungen, was ihnen unter dem Pol-Pot-Regime widerfahren ist. Auch in den Schulen wird jetzt, im Gegensatz zur Vergangenheit, die Herrschaft der Roten Khmer thematisiert. Welche Zweifel und Vorwürfe dem Tribunal auch anhaften, es hat zumindest das Schweigen in Kambodscha gebrochen.