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Das Leben als tägliche Odyssee

Von Deborah Pasmantier

Politik

Für den von den USA eingesetzten irakischen Übergangsrat war es nicht einfach, in Madrid Geld für den Wiederaufbau zusammenzukratzen. Noch viel schwerer ist es aber für die Iraker, Geld oder Hilfe von den Behörden der Besatzer zu erhalten. "Sie müssen zu einer anderen Behörde gehen", "Keine Auskunft", "Hier keine Entschädigung" - mit solchen dürftigen Antworten werden die Bittsteller oftmals von Pontius zu Pilatus geschickt.


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Raad Hadi hat nach dem Krieg gemeinsam mit seiner krebskranken Mutter, seiner Schwester und seinen vier Söhnen sein Haus aufgeben müssen, weil er die erhöhte Miete nicht mehr zahlen konnte. Seitdem lebt der arbeitslose 32-Jährige mit seiner Familie in einem besetzten ehemaligen öffentlichen Gebäude in Bagdad, das die Behörden nach Plünderungen freigegeben hatten. Doch nun will die Regierung das Haus wieder benutzen. Im August begann Raad mit der Suche nach einer neuen Bleibe für sich und die Seinen. Zweimal ging er zum früheren irakischen Präsidentenpalast, in dem sich heute die meisten Büros der US-Zivilverwaltung (CPA) befinden. Dort verlangte der junge Mann nach Chefverwalter Paul Bremer oder "irgendeinem anderen Verantwortlichen" - und wurde weggeschickt.

Dann hörte Raad, dass Zivilisten in der Konferenzhalle in einem Nebengebäude der CPA geholfen werde. Dort schickten ihn die Empfangsleute weiter zum Zentrum für Menschenrechte. Deren Mitarbeiter erklärten dem Familienvater, dass ihre Behörde keine materiellen Hilfen gebe, aber Unterkünfte für Obdachlose gewähre - die seien allerdings bereits alle voll. Seine Odyssee führte Raad als nächstes zum Hilfszentrum für Iraker (CAI), das täglich mehr als 200 Anträge auf Beihilfen erhält. Die dementsprechend überlastete Behörde riet ihm denn auch erstmal, "später wiederzukommen".

Ein Nachbar aus der Zwangsgemeinschaft in dem besetzten Haus erzählte Raad dann von einem ominösen Dokument, das auf Englisch verfasst sein müsse, und mit dem er eine Wohnung ergattern könne. Um was für ein Papier es sich dabei handelt, wusste Raad nicht - aber er wollte es unbedingt haben, um sein Glück zu probieren. Zurück im CAI wurde ihm jedoch erklärt, die Amerikaner hätten zwar von einem solchen Dokument gesprochen. "Aber wir haben keine Informationen darüber." Die lakonische Auskunft scheint typisch für die Einrichtung zu sein: "Das ist das Büro ohne Antworten", kommentiert ein irakischer Angestellter der US-Zivilverwaltung die Arbeit der Kollegen.

Die einzigen Iraker, die sich begründete Hoffnungen auf Entschädigungszahlungen aus der Kasse der alliierten Besatzungsmächte machen können, sind Opfer militärischer Aktionen nach dem offiziellen Kriegsende am 1. Mai. Dazu zählen Angehörige getöteter Zivilisten oder durch Soldaten Verletzte sowie Menschen, die etwa beim Beschuss ihr Haus oder Auto verloren haben. Die Opfer werden vom Hilfszentrum CAI zum Zentrum für militärische und zivile Operationen (CIMOC) geschickt, wie CAI-Mitarbeiter Mohanad Abdel Mohsen erläutert. Dort werden nach Angaben von US-Sergeant Jay Bachar die Dossiers erneut von US-Anwälten geprüft, die schließlich über eine Entschädigung entscheiden. Sonstige kriegsbedingte Entschädigungen gebe es nicht.

Um bedürftige Iraker angesichts der chaotischen Bürokratie nicht einfach wegschicken zu müssen, werden sie oftmals auf den Sankt Nimmerleinstag vertröstet, wie ein Übersetzer des Zentrum für Menschenrechte berichtet. "Wir sagen ihnen, dass demnächst ein zuständiges Komitee gegründet wird, dass sie sich an eine andere Behörde oder Vereinigung wenden oder auf eine Ankündigung im Fernsehen warten sollen." Doch die eigentlich gut gemeinte Höflichkeit verschlimmert nur die Verzweiflung so mancher Iraker. "Sie kommen ohne Haus und ohne Geld, und sie gehen ohne Hoffnung", sagt Abdel Mohsen.