· Dem Zeitgeist in der Politik misstraute Noberto Bobbio schon immer, doch sein Feldzug gegen die These vom "Ende der Ideologien" hat besonderen aktuellen Bezug. Ob es den Politikern passt | oder nicht, schimpfte der große alte Mann der politischen Philosophie: Das politische Koordinatensystem von Links und Rechts habe nach wie vor seine Gültigkeit. Alles andere sei "reine Ideologie". Am | 18. Oktober wird der italienische Denker und liberale Sozialist Bobbio 90 Jahr alt.
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"Das eigentliche Leben begann mit dem Widerstand", schrieb der noch immer rege Geist unlängst in seinen Erinnerungen. Mit Widerstand meinte er nicht nur intellektuelles Gegen-den-Strom-
Schwimmen: Schon als junger Ordinarius machte er seine Räume an der Universität in Padua zu einem Unterschlupf einer Untergrundpartei. Das Engagement gegen den Faschismus bezahlte er mit mehreren
Monaten Gefängnis.
Während der Zeit der Resistenza wurde "ich zu einem neuen und von meiner bisherigen Existenz radikal verschiedenen Leben geboren", schrieb er später. Spötter reihten Bobbio unter den "Waisenkindern
des Volksfrontdenkens ein" · gestört hat ihn das nie.
Am 18. Oktober 1909 in Turin geboren, war der Bürgersohn Bobbio bereits 1935 Professor für Rechtsphilosophie. Früh entwickelte er sich zum Gegner des totalitären Marxismus, zugleich aber zum Kritiker
des kapitalistischen Wirtschafssystems. Kern seiner politischen Lehre ist die Theorie der demokratischen Institutionen, deren begrenzte Funktionsfähigkeit er freilich nie übersah. Sein eigentliches
Thema war die Verletzbarkeit der Demokratie: Immer wieder warnte er vor der "Umarmung von Demokratie und Kapitalismus", die zu einer "tödlichen Umarmung" werden könne.
Im Elfenbeinturm der Theorie fühlte er sich nie recht wohl, noch heute ist Bobbio in Rom Senator auf Lebenszeit und zur Einmischung verpflichtet. Seine Bücher waren nicht nur handfeste Kommentare zu
aktuellen politischen Konflikten, sie waren in Italien auch Bestseller. So etwa die 1994 auch auf Deutsch erschiene Fibel "Rechts und Links".
Tenor: Zwar sei der Kommunismus gescheitert, doch die Probleme und die Herausforderungen seien geblieben. Nicht zuletzt meinte Bobbio damit Armut und Ausbeutung in der Dritten Welt · auch hier
beweist er Gespür für ein Thema, die der Zeitgeist derzeit eher links liegen lässt.
Auf schweren Kollisionskurs ging der Philosoph Mitte der 90er Jahre zum Polit-Aufsteiger und Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Als dieser sich nach dem Zusammenbruch der "Schmiergeld-Republik" als
Retter Italiens präsentierte, schrieb Bobbio, hinter Berlusconis "Forza Italia steht der Faschismus".
Der Angegriffene schlug ebenso hart zurück: Die "persönliche Vergangenheit" des Denkers gäbe ihm kein Recht zu solchen Urteilen. Das spielte auf einen wunden Punkt Bobbios an, der 1935 in einem Brief
einmal Nähe zum Diktator Mussolini bekundet hatte; das war vor Bobbios Wende zum Anti-Faschismus.
Einige Getreuen brachten den großen Alten der Polit-Philosophie während der stürmischen Zeit Anfang der 90er Jahre gar als möglichen Staatspräsidenten ins Gespräch. Da winkte Bobbio aber ab. Dazu sei
er "von Charakter und Persönlichkeit her nicht geeignet". Außerdem lasse das sein Tagesablauf nicht zu · seine Tage seien allein durch Lesen und Schreiben voll ausgefüllt.