Im Nahost-Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern scheint heute eine Friedenslösung weiter entfernt denn je. Die politische Führung beider Seiten ist unfähig, einen Ausweg aus jenem Dialog zu finden, der Gewalt stets mit Gegengewalt beantwortet. Die Menschen in der Region - Israelis wie Palästinenser - reagieren auf diese Situation mit einer Mischung aus Fatalismus und Hoffnungslosigkeit.
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"Wenn Gott will, dass ich sterbe, ist es eben so. Und wenn er will, dass ich meinen Kaffee im Caféhaus austrinke und wieder nach Hause gehe, dann ist es ebenfalls so. Das Leben besteht eben aus Glück."
Mit Fatalismus begegnet Avinoam Glick, unser Fahrer, den Gefahren des Alltags, die der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern für jeden Bewohner dieses schmalen Landstrichs am östlichsten Rand des Mittelmeeres mit sich bringt. Er sagt dies, während wir in Jerusalem jene Gegend mit Namen "German Colony" passieren, wo erst vor kurzem in einem Caféhaus die Bombe eines palästinensischen Selbstmordattentäters zahlreiche jüdische Menschenleben forderte. Er selbst trank nur eine Stunde zuvor seinen Kaffee aus und ging unversehrt nach Hause. Heute weht vor dem zerstörten Café eine israelische Fahne und Wächter stehen vor fast jedem Lokal in der Nachbarschaft.
In Israel begegnet man ohne Unterlass Menschen, denen Ähnliches widerfahren ist oder die zumindest jemanden kennen, der solches zu erzählen weiß. Da verwundert es kaum, dass eine große Mehrheit hinter der Politik der "harten Hand" ihrer Regierung gegenüber den Palästinensern und ihrer Führung stehen. Dass trotzdem erstaunlich viele die vom israelischen Kabinett beschlossene Exilierung Yassir Arafats kritisieren, hat jedoch sicher nichts mit Sympathie für den ewigen Revolutionär zu tun. Die Wohlmeinenderen unter den Israelis halten diesen lediglich für korrupt und politisch unfähig; die anderen nennen ihn schlicht einen Terroristen, der niemals einem Friedensschluss seinen Segen geben würde. Dass ausgerechnet Arafat mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, scheint diesen ein Hohn.
Auch der Zaun, mit dem Ministerpräsident Ariel Sharon die Terroristen von Angriffen abhalten will und den die Palästinenser eine Mauer nennen, findet Zustimmung bei vielen Israelis. So sieht auch die junge Frau aus Tel Aviv, die alles andere als eine religiöse oder nationale Fanatikerin ist, in diesem den einzig wirksamen Schutz vor Bombenlegern und Selbstmordattentätern, die als ständige Gefahr über dem israelischen Alltag lauern. Von der euphorischen Friedensstimmung, wie sie für kurze Zeit nach dem 1993 abgeschlossenen Osloer Friedensabkommen zwischen Arafat und dem damaligen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin herrschte, ist heute auf israelischer Seite nichts mehr zu spüren.
Den Palästinensern geht es jedoch nicht anders. Im von der Außenwelt - und damit von der Haupteinnahmequelle der Touristen - abgeschnittenen Bethlehem, nur wenige Kilometer von Jerusalem entfernt gelegen, treffen wir Jad Isaac, einen palästinensischen Christen. Er leitet das "Applied Research Institute - Jerusalem", das sich vor allem mit den Folgen jenes Zaunes beschäftigt, der Israelis und Palästinenser künftig trennen wird.
"Die Israelis arbeiten Tag und Nacht daran, Bethlehem von Jerusalem abzutrennen. Schon in sechs Monaten wird die Mauer vollendet sein", erklärt uns Isaac. Zur Veranschaulichung veranschaulicht er uns anhand einer CD-Rom, die den programmatischen Titel "Israels Landraub und der Friedensprozess" trägt, die Strategie, die hinter den Zaun-Plänen aus palästinensischer Sicht stehen.
Es gehe Sharon nicht nur um einen Zaun entlang der "Grünen Linie", die Israel und das den Palästinensern zugesprochene Autonomiegebiet im Westjordanland trennen soll, sondern darüber hinaus um die Einkesselung der palästinensischen Städte und Siedlungen. Auf diese Weise sollen regionale Cluster gebildet werden, um so schlussendlich das Palästinenser-Gebiet mit Korridoren unter israelischer Kontrolle zu versehen. Für Isaac besteht dementsprechend an den israelischen Plänen für eine Kantonalisierung des Westjordanlandes kein Zweifel - und man muss zugestehen, dass seine Daten Überzeugungskraft besitzen. Am Ende sollen lediglich 10 Enklaven, die von israelischen Checkpoints und Zäunen umgeben sind, für die Palästinenser übrig bleiben, vermutet Isaac. Ein solcher "Gefängnis-Staat" werde jedoch niemals akzeptiert werden.
Den Israelis gehe es dabei aber nicht nur um die Abwehr von Terroristen, sondern auch um die Vertreibung der ohnehin nur schwach entwickelten palästinensischen Mittelklasse. Diese sieht in den von eingekesselten Städten keinerlei wirtschaftliche Perspektive mehr und wandert aus. Wie aber soll ohne eine Mittelklasse ein demokratischer und wirtschaftlich überlebensfähiger palästinensischer Staat aufgebaut werden, fragt Isaac.
Aber auch viele Israelis verlassen aufgrund der hoffnungslosen Situation, die auch die Ursache für die tiefe wirtschaftliche Krise in der gesamten Region ist, ihre Heimat. Nimmt man die Stimmung der Menschennschen zum Maßstab, so ist - fast genau 10 Jahre nach dem Osloer Friedensabkommen - eine politische Lösung des Nahost-Konflikts weiter entfernt denn je.