New Orleans ist zur Zeit im "Mardi Gras"-Taumel. Aber die Stadt versteht sich nicht nur aufs Feiern, sondern auch aufs Bauen. Ein Blick auf die Restrukturierung der Stadt nach dem verheerenden Hurrikan "Katrina".
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Der 29. August 2005 liegt fast neun Jahre zurück, der Hurrikan Katrina ist Geschichte, dennoch sind die Spuren der damaligen Verwüstung vielerorts noch heute sichtbar. Es sind aber nicht die Spätfolgen dieser Naturkatastrophe, die primär ins Auge stechen, sondern es wird vielmehr all das sichtbar, was inzwischen passiert, aufgebaut, erneuert und investiert worden ist.
Mit einem Blick von "außen" ist dieser Prozess vielleicht auch leichter kommunizierbar als von einer Innensicht, da dieser auch als sehr hürdenreich, schmerzhaft und von vielen zwischenzeitlichen Rückschlägen geprägt war.
Bevölkerungswachstum
Michael Hecht, der Präsident der Greater New Orleans Economic Development Group, bringt es im Rahmen einer Veranstaltung zur regionalen Entwicklung an der University of New Orleans auf den Punkt: "Es ist schwer, von 150 Investitionsmilliarden im Zuge des Wiederaufbaus nicht zu profitieren." Aber es hat ein bisschen gedauert, bis das Geld auch dort ankam, wo es jetzt vielerorts ist. Obwohl die von den Überflutungen besonders betroffenen Stadtteile nach wie vor weniger Bevölkerung haben wie in der Zeit vor Katrina und bei weitem nicht alles wiederhergestellt ist, wächst die Stadt vor allem am Rand und selektiv auch in der City selbst.
Es sind neue Bevölkerungsgruppen, die ganz bewusst wieder beziehungsweise auch neu in die Stadt kommen, um in New Orleans zu leben und hier zu arbeiten. Es sind zum Teil Jüngere, besser Gebildete, aber auch, wie immer schon, Alternative und Künstler, die Teil des Flairs der Stadt sind.
Plötzlich wird in der Stadt Rad gefahren - in den USA ein eher untypisches Bild - auch gibt es neue Radwege, der Citypark ist zum Teil eine rekultivierte Wildnis, in den Kanälen der Stadt wird Kajak gefahren. Auch die Palmen stehen wieder gerade, die Street Cars sind auf Schiene, und die öffentlichen Busse neu und klimatisiert. Der French Market ist wiedereröffnet und eine hippe Meile mit Cajun-Food wie frischen Austern, Craw-Fish und Alligatoren-Sticks. Vor den Clubs und Restaurants stehen Menschenschlangen, die "French Quarter Woodoo Touren" sind gut gebucht. Die unmittelbaren Jahre nach Katrina haben dieses urbane Leben vermissen lassen.
Viele Foundations, zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen sowie durch Spenden finanzierte Projekte werden nun sukzessive im Stadtbild sichtbar. Auch wenn sie vom Umfang vielfach nur kleinräumig wirken, sind sie Symbole für Wiederaufbau, öffentliche Aufmerksamkeit sowie Stadtentwicklung.
Vorzeigeprojekte
Zahlreiche Beispiele wären in diesem Zusammenhang zu nennen. Die 2007 gegründete "Make it Right Foundation" von Brad Pitt oder der Musicians’ Village Park sind solche Vorzeigeprojekte in ehemals besonders betroffenen Stadtteilen wie dem Lower und Upper Ninth Word, die zahlreiche Exkursionen aus der ganzen Welt anziehen.
Nach dem Dammbruch am Industrial Canal wurde im Jahr 2005 der Lower Ninth Ward - ein meist von Schwarzen besiedelter ärmerer Stadtteil New Orleans - vielfach dem Erdboden gleichgemacht. Hier wurde mehrfach von stadtpolitischer Seite mit der kompletten Schleifung des Quartiers spekuliert. Der Wiederaufbau kam daher aus unterschiedlichen Gründen nur schleppend in die Gänge, jetzt sind etwa die Hälfte der Grundstücke wieder neu bebaut bzw. die ehemals zerstörten Häuser renoviert.
Die "Make It Right"-Foundation baut gegenwärtig allein 150 Häuser in dem am stärksten zerstörten Teil des Lower Ninth Ward. Diese Häuser sind nicht nur in ihrer Architektur und vom Gesamtdesign auffallend regionstypisch ausgeführt, sie sind vor allem hinsichtlich ihrer Energienutzung und Klimaanpassung ökologisch nachhaltig konzipiert. Vor allem das Forcieren der Solarenergie soll New Orleans als wichtigen ökologischen Standort in den USA aufbauen helfen und zusätzlich "Green Jobs" in Louisiana sichern.
Musik für die Stadt
Das Musicians’ Village im Upper Ninth Ward ist ein neu aufgebautes Viertel, das rund um ein Musikzentrum errichtet wurde, wo Musiker lehren und auftreten können. Mit Hilfe von "Habitat for Humanity International" wurde hier ein Stadtteil geschaffen, der es den nach Katrina geflüchteten Musikern erleichtern sollte, wieder nach Hause zu kommen, um die Musik wieder in die Stadt zurückzubringen. Jetzt ist die Musik wieder an jeder Straßenecke und in den vielen wiedereröffneten Lokalen zu hören.
Auch Non-Profit-Organisationen mit meist direktem Bezug zu den jeweils betroffenen Neighborhoods haben sich etabliert und begleiten diesen Umbruch. "Common Ground Relief" ist eine solche Einrichtung, die eine breite Palette an Stadtentwicklungsprojekten betreut. Infrastrukturmaßnahmen, Revitalisierung von Feuchtgebieten, Schaffung von Gemeinschaftsgärten, pädagogische Projekte und Rechtsberatungen gehören zu diesem Portfolio. Es geht dabei um Gemeinwesenarbeit und Förderung von Freiwilligenarbeit unter dem Aspekt gesellschaftlicher, ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit. Die Aufmerksamkeit gilt vor allem Rückkehrern nach New Orleans und Umgebung.
Die Unzufriedenheit vieler Amerikaner mit öffentlichen Leistungen hat sich im Zuge der staatlichen Katastrophenhilfe FEMA und im Zusammenhang mit öffentlichen Planungsmaßnahmen nach Katrina vielerorts vertieft. Der Hilfe zur Selbsthilfe kam daher hohe Bedeutung zu, verstärkte zudem auch die regionale Identität jener, die bewusst geblieben oder wiedergekehrt sind. Die Bevölkerung von New Orleans gleicht ein bisschen dem Baron Münchhausen, der sich selbst am Zopf aus dem Sumpf zieht.
Aus stadtplanerischer Perspektive liegen in den Umbrüchen und Neubesiedlungen jedoch auch Möglichkeiten einer stärkeren Durchmischung der Wohngebiete. Amerikanische Städte sind in der Regel nicht nur funktional stark ausdifferenziert, sondern auch gesellschaftlich wesentlich stärker segregiert als das in unseren Breiten üblich ist. Diesbezügliche Anreizsysteme werden in den USA zwar in der Regel skeptisch betrachtet und dem Sozialismus zugeordnet, gleichzeitig gibt es aber auch schon anerkannte Projekte, die meist über charismatische Politiker und Stiftungsgelder umgesetzt werden.
Auch der oft bislang mangelhaften allgemeinen Infrastruktur wie z.B. der Strom- und Wasserversorgung sowie den öffentlichen Straßen kommt diese "Gunst der Stunde" zupass. Gentrification - die Aufwertung bislang zum Teil eher abgewohnter Gegenden durch bessere Einkommensschichten - geht mit dieser Entwicklung ebenso Hand in Hand wie der zunehmende Verkauf von Condominiums oder traditioneller Shotgun-Häuser für temporäres Wohnen, wie in den Stadtteilen Tremé, Bywater oder Faubourg Marigny.
Positive Stimmung
Schon vor wie auch nach Katrina gleicht das Leben in New Orleans einer Parade. Wird gerade nicht marschiert, wird die nächste Parade vorbereitet. Neben den zahlreichen Festivals werden auch Tage wie Halloween wochenlang zelebriert. Diese positive Grundstimmung wird aber nicht nur beim Feiern sichtbar, sondern es wird auch zunehmend in anderen Bereichen gemeinsam marschiert. Der Tourismus boomt, die Conventions mit oft tausenden Teilnehmern sind zurück, auch die Kreuzfahrtschiffe stechen wieder regelmäßig von New Orleans in Richtung Golf in See - oft ist New Orleans komplett ausgebucht. Die Zimmerpreise von Durchschnittshotels liegen dann nicht selten bei 300 Dollar aufwärts.
Zusätzlich führen die hohen Energiepreise und Umweltauflagen innerhalb der EU zu einem Investitionsboom europäischer Firmen im Süden der USA. Was innerhalb der EU zu heftigen Diskussionen führt, ist aus wirtschaftlicher Sicht für den ärmeren Süden der USA ein Segen. Im Umfeld von New Orleans ist es im internationalen Vergleich auch recht günstig zu investieren - so gesehen hat New Orleans von den Nachwehen Katrinas sogar profitiert. Investiert wird zum Beispiel in einen umfassenden Spitals- komplex, der die bislang eher desaströse Infrastruktur im Gesundheitssektor mehr als wettmachen sollte. Auch neue Technologien stehen im Fokus zahlreicher Investoren. Gemeinsam mit Top-Universitäten wie der Tulane University wird zudem der Forschungsstandort gefördert.
Auch die dazwischenliegenden Katastrophen durch weitere Stürme und vor allem der Ölteppich in Folge der Explosion der Ölplattform Deepwater Horizon im Jahr 2010 konnten den Wiederaufstieg der Stadt nur zwischenzeitlich bremsen. Dennoch bleibt New Orleans eine gefährdete Stadt, die abhängig ist von dem erstarkten Dammsystem und dessen Pumpen, in die ebenso massiv investiert worden ist. Auch das Marschland im Delta des Mississippi ist nachhaltig gefährdet. Fehlt die natürliche Barriere, fehlt auch der Schutz vor dem offenen Wasser. Der künstlich geschaffene Stichkanal vom Mississippi in den Golf von Mexiko wurde eben aus ökologischen Gründen für den Schiffsverkehr geschlossen. Die Erhaltung bzw. Sanierung der Küstenregion und des Ökosystems rückt ebenfalls zunehmend in das öffentliche Interesse. Global Warming, in weiten Teilen der USA negiert, ist eine Fragestellung, die in New Orleans zukünftig zur Lebensgrundlage wird. Aus der Not eine Tugend machen scheint auch hier das Motto der Stunde zu sein.
Licht und Schatten
Unabhängig davon, dass viele positive Entwicklungen in der Stadt sichtbar sind, darf die Tatsache nicht verleugnet werden, dass die innerstädtischen und sozialen Disparitäten in New Orleans groß sind, auch die Kriminalstatistik ist beachtlich, aus europäischer Sicht auch befremdlich. Nicht zuletzt aus diesen genannten Gründen kommt der Ausgewogenheit der Stadtentwicklung und dem Wiederaufbau besondere, auch integrative Wirkung zu.
Jetzt wird jedenfalls wieder ausgelassen gefeiert. Mardi Gras ist voll im Laufen, seit Anfang Jänner ziehen die Paraden über die St. Charles Avenue in Richtung French Quarter, die goldenen Kokosnüsse der "Zulu-Parade" am kommenden Faschingsdienstag dürfen als "Mardi Gras throws" dabei ebenso wenig fehlen wie die nächtlichen Gelage in der Bourbon Street. New Orleans ist wieder einmal ausgebucht. Die Rebirth Brass Band spielt auf, und es wird gefeiert, als gäbe es kein Morgen. Der Höhepunkt des langen Festes, der "fette Dienstag" steht unmittelbar bevor: Er wird am 4. März gefeiert.
Martin Heintel ist Professor am Institut für Geographie der Universität Wien und hatte 2006/07 den "Marshall Plan Chair" an der University of New Orleans inne, Forschungskurzaufenthalt in New Orleans 2013.