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Das lebensbejahende große Glück

Von Eva Stanzl

Wissen
Was darf man sich unter Glück vorstellen? Vielleicht ist es einer der Papierballons beim jährlichen Heißluftballon-Festival in Taunggyi, Myanmar. Vielleicht ist es aber auch ein Vogerl.
© © © Felix Hug/Corbis

Die großen Freuden geben Stabilität, die kleinen erhalten das Glücksgefühl.


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Wien. "Nicht das schillernde, kleine Glück, sondern das lebensbejahende große", lautet der Text in einer Glückwunsch-Karte, die zusammen mit einem Geschenk zu einem 40. Geburtstag überreicht wurde.

Was aber ist das lebensbejahende, große Glück? Dieser Frage gingen Experten jüngst bei einem Symposion im Wiener Allgemeinen Krankenhaus nach. Dabei zeigte sich, dass das kleine Glück für die Sicht auf das große durchaus eine Rolle spielt. Die Vortragenden suchten auch zu erörtern, wie Glück und Lebenszufriedenheit die Gesundheit beeinflussen, ob glückliche Menschen erfolgreicher sind im Beruf als weniger glückliche und ob sie bereitwilliger und schneller lernen.

Vorübergehender Zustand

"Es geht darum, insgesamt ein gutes Leben zu führen", sagt der klinische Gesundheitspsychologe Klaus Linde-Leimer zur "Wiener Zeitung". Ein grundlegend optimistisches Denken hänge damit zusammen, wie wir interpretieren, was wir erleben, und ob wir einen Sinn aus dem Erlebten ziehen können. Ziele, positive Leitbilder und flexibles Denken fördern eine positive Interpretation des eigenen Lebens. "Wer kein Leitbild hat und kein Ziel verfolgt, kann das Gefühl bekommen, dass sein Leben für ihn gelebt wird", erläutert Linde-Leimer.

Die Erforschung des subjektiven Wohlbefindens als Balance zwischen positiven und negativen affektiven Zuständen sowie der kognitiven Bewertung der eigenen Lebensumstände geht auf die US-Forscher Frank Andrews und Stephen Withey zurück. Sie ziehen zwei mögliche Interpretationen heran: Einerseits gehen sie davon aus, dass das Empfinden von Glück nur während einer kurzen Zeitdauer erlebbar ist - ein vorübergehender Zustand, etwa beim Zusammensein mit einem Menschen, der einem viel bedeutet. Andererseits gibt es ein dauerhaftes Glücksempfinden, also eine Tendenz oder Fähigkeit zum Glücklichsein. Weiters ist dem Glücksforscher Ed Diener zufolge nicht die Intensität von Glücksgefühlen entscheidend, sondern deren Häufigkeit. Demnach sind Menschen umso glücklicher, je eher sie dazu in der Lage sind, sich an vielen kleinen Anlässen zu erfreuen - anstatt immer nur auf das große Glück zu warten.

"Die großen Freuden geben Stabilität, die kleinen erhalten das Glücksgefühl", sagt Linde-Leimer. Anerkennung von Kollegen oder Familienmitgliedern, Spazieren im Sonnenuntergang mit Freunden oder kleine Überraschungen - "all das macht nachhaltig glücklich", so der Wiener Gesundheitspsychologe. Wer nur wenige kleine Glücksmomente erlebt oder diese nicht wahrnimmt, hätte auch weniger Freude an den großen Dingen des Lebens, selbst wenn er sie alle erfahren darf.

Umgekehrt dürfe das Leben nicht aus einer bloßen Aneinanderreihung schöner Momente und Gefühlslagen bestehen. "Nur durch die kognitive Bewertung, wie das eigene Leben aussieht auch im Zusammenhang mit Familie, Freunden und Beruf, kann sich eine allgemeine Lebenszufriedenheit entwickeln", sagt Linde-Leimer. Eine positive Erwartungshaltung hilft - wer feinfühlig für die Belohnungen seiner Umwelt ist, sieht eher die Möglichkeiten als die Schwierigkeiten.

Ein Mehr an Wohlstand sei dagegen wie ein Lottogewinn: Im ersten Moment macht er himmelhochjauchzend glücklich. Doch danach hebt er nur den Standard, an dem man alles andere misst. Der jüngst veröffentlichte "Happy Planet Index" zeigt, dass Menschen in ärmeren Ländern, deren Grundbedürfnisse abgedeckt sind, tendenziell glücklicher sind als Menschen in Industrienationen, die mehr besitzen.

Wissenschafter sehen auch Zusammenhänge zwischen Lebensglück, Arbeitszufriedenheit und beruflichem Erfolg. Die US-Forscher Sonja Lyubomirsky, Laura King und Ed Diener haben 225 Studien ausgewertet und festgestellt, dass nicht etwa Arbeit und Leistung Glücklichsein nach sich ziehen, sondern wer bereits glücklich ist, wird noch einmal durch Erfolg belohnt. "Chronisch glückliche" Menschen sind daher in aller Regel auch im persönlichen und beruflichen Leben erfolgreicher. Demnach verstärkt Glücklichsein sich selbst.

Dankbarkeit macht froh

Linde-Leimer nutzt dieses Phänomen als Ausbildner in der Erwachsenenbildung des Arbeitsmarktservice, wo er mit gezielten Übungen das Tor zu einer größeren Lebenszufriedenheit öffnet: "Man muss bei einem Schreib- und Rhetorik-Kurs nicht unbedingt einen Muster-PR-Text formulieren, sondern kann auch einen Brief an jemanden schreiben, dem man dankbar ist. Dankbarkeit macht zufrieden, und glückliche Menschen haben eine höhere Bereitschaft, Neues zu lernen", sagt er.

Sind glückliche Menschen gesünder? Studien untermauern, dass sie eine längere Lebenserwartung und ein geringeres Risiko von cardio-vaskulären Erkrankungen haben. "Es gibt auch Hinweise, dass Lebenszufriedenheit ein schützender Faktor vor manchen Krebserkrankungen ist", sagte der Wiener Psychiater Thomas Wenzel: "Aber wir kennen die Wechselwirkungen noch nicht genügend."

Zudem ist Glücklichsein selbst wohl nicht ausreichend verstanden. Jüngsten Erkenntnissen zufolge gibt es genetische Merkmale, die es leichter fallen lassen, sich glücklich zu fühlen. Umgekehrt fühlen sich andere Menschen leichter depressiv. Wie groß die Rolle der Gene ist, ist allerdings noch zu ergründen.