Eigentlich hätte man erwarten können, dass sich das Interesse an Albert Einstein nun einige Jahre lang nicht in Büchern und Publikationen niederschlagen würde: 2005 waren 100 Jahre vergangen gewesen, seit der damals erst 26 Jahre alte Patentanwalt am Berner Patentamt jene drei Arbeiten veröffentlichte, die ihn als einen Physiker auswiesen, dessen Rang nur mit dem Newtons verglichen werden kann.
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Vor zwei Jahren, als man Einsteins "annus mirabilis" feierte, gab es natürlich eine unübersehbare Vielfalt von Literatur auch zu Einsteins Leben - von Abraham Pais monumentaler Biografie, deren Schwerpunkt auf der Beschreibung und Analyse seiner wissenschaftlichen Entwicklung liegt, bis hin zur glänzend geschriebenen deutschen Biografie von Jürgen Neffe, die - im Unterschied zu anderen deutschen Biografien - auch die Facetten von Einsteins Persönlichkeit darstellt, die erst durch die jüngsten Veröffentlichungen aus dessen Nachlass deutlich worden sind.
Einsteins Nachlass
Einstein ist nicht der einzige Große, dessen Nachlass durch die zu Nachlassverwaltern bestellten Vertrauten - seine Sekretärin Helene Dukas und seinen Freund Otto Nathan - anfänglich nur teilweise zugänglich gemacht wurde: Dokumente, die aus dem einen oder anderen Grund nicht als veröffentlichungstauglich galten, wurden entweder vernichtet oder den Wissenschaftshistorikern jahrelang vorenthalten. Jürgen Neffe erzählt in einem Kapitel seines Buches die wahrhaft abenteuerliche Geschichte des Versuchs, das "Einstein Projekt" trotz des massiven Widerstands der Nachlassverwalter auf die Beine zu stellen: In diesem Projekt, das erst 1986, gemeinsam finanziert von der Princeton Universität und der Hebräischen Universität in Jerusalem, starten konnte, wurden bisher zehn Bände - insgesamt 4252 Seiten - der "Collected Papers of Albert Einstein" herausgegeben - und damit doch nur die Arbeiten und die Korrespondenz bis zum Jahr 1920 erfasst.
Lee Smolin, Gravitationsphysiker von Weltrang, der in seinem Physikverständnis den nie endenden und doch stets erfolglosen Versuchen des späten Einstein näher steht als allen aktuellen Stringtheoretikern, schreibt in der "New York Review of Books", dass erst die Veröffentlichung der "Einstein Papers" ein ausgewogenes Verständnis von Einstein und seiner Arbeit ermöglicht habe: "Das Problem, vor dem jeder Biograf steht, liegt darin, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit Einstein immer noch dabei ist, sich aus dem durch Jahrzehnte angehäuften Berg von Mythen heraus zu graben. " Smolin gesteht den älteren Büchern von Roger Highfield und Paul Carter sowie dem Buch von Dennis Overby, vor allem aber Jürgen Neffes Biografie zwar zu, dass sie Einstein aus größerer Nähe zeigen als die vorherigen Biografien, doch sieht er auch diese Arbeiten noch gefangen in den alten Einstein-Mythen.
Das betrifft besonders das Bild vom jungen Einstein. Viele sehen ihn lediglich als jüngere Version jenes Einstein, um den sich der Kult rankt: Wir alle kennen den alten Gelehrten mit den großen, weisen und traurigen Augen; kennen das große Kind, das, umrahmt von einer schlohweiß gewordenen Haarmähne immer noch allen Autoritäten die Zunge herausstreckt. Katia Mann, die Einstein zusammen mit ihrem Gatten Thomas besuchte, als sie 1933 in Princeton Nachbarn waren, fand in seinem Wesen "etwas Kindliches" und sah "so große Glubschaugen". Menschen, die dem jungen Einstein begegnet sind, empfanden ihn als arrogant, unfähig, irgendeine Autorität zu tolerieren, gut aussehend, charismatisch, immer mit großen Emotionen in Frauenbeziehungen verwickelt, die er ebenso manipulierte wie später alle Menschen, mit denen in größerer Nähe lebte. Als Einstand eben erst diplomiert hatte, entdeckte er in einer Arbeit des renommierten Gießener Physikers Paul Drude Fehler, was er ihm auch sofort in einem Brief mitteilte - anscheinend in der Erwartung, dass dieser sich darüber freuen würde.
Diese Erwartung scheint ziemlich enttäuscht worden zu sein, denn Einstein merkte zwei Monate später an, Drudes Antwortbrief sei "für die Erbärmlichkeit des Schreibers ein so untrüglicher Beweis, dass ich dazu keine Erklärung beizufügen brauche. Ich werde mich von nun an an keinen solchen Kerl mehr wenden, sondern ihn rücksichtslos in Zeitschriften angreifen, wie er es verdient."
Kindisch und kindlich
Lee Smolin findet, dass die bisherigen Biografien nur unbefriedigende Erklärungen dafür anbieten, wie aus dem hochfahrenden, arroganten und charismatischen Revolutionär der abgeklärt scheinende Weise seiner letzten Jahre wurde. Wie wurde aus dem einst für seinen kindischen emotionalen Haushalt kritisierten jungen Mann der Alte, dessen Kindlichkeit man bewunderte? Die nun veröffentlichten Briefe und Dokumente liefern immer mehr Indizien dafür, dass in der Genese von Einsteins "Kindlichkeit" auch dessen Entdeckung mitspielte, dass infantiles Verhalten nützlich sein kann, wenn man in unangenehme oder in nur wenig inspirierte Diskussionen geraten ist - und sich sozusagen verstecken möchte. Im Frühjahr 1915 fragte Einsteins Freund Heinrich Zangger brieflich nach, wie es denn Einstein in Berlin inmitten der anschwellenden Kriegsbegeisterung selbst so geschätzter Kollegen wie Walter Nernst aushalten könne. Einstein antwortete, dass er mit seiner "Unschuld" am besten fahre, die aber sei bis zu 20 Prozent bewusst produziert: "Man kann das leicht erreichen, wenn man den Gefühlen der geschätzten Mitmenschen indifferent gegenübersteht - obwohl man nie so indifferent ist wie sie es verdienten."Seine Distanziertheit war nicht nur eine Schutzmaske, die Einstein bei Bedarf anlegen konnte. Als er 57 Jahre alt geworden war, sprach er "von jener Einsamkeit, die in der Jugend schmerzlich, in den Jahren der Reife aber köstlich ist". Als er in den USA lebte - als Europäer mit politischen Erfahrungen, die wenige Amerikaner nachfühlen konnten -, schrieb er allerdings einmal: "Das Alleinsein verträgt man doch nur bis zu einer gewissen Grenze."
Für die um hahestehenden Menschen war diese Distanziertheit jedoch nur schwer zu ertragen. Seine Schwiegertochter Frieda sagte: "Eine dünne Wand aus Luft trennt Einstein sogar von seinen nächsten Freunden." Und sein langjähriger Assistent Leopold Infeld schrieb: "Einstein verstand einen jeden ausgezeichnet, wenn es auf Logik und Nachdenken ankam. Viel schwerer wurde es ihm jedoch, Verständnis aufzubringen, wenn es sich um Gefühle handelte. Es war schwer für ihn, sich Beweggründe und Gefühle vorzustellen, die nicht zu seinem Leben gehörten." Wenn er sich aber einmal einfühlen konnte, war er immer wieder auch von großer Herzlichkeit. Als 1911 sich große Teile der französischen Öffentlichkeit darüber erregten, dass Marie Curie, damals bereits Witwe, eine Beziehung zu dem noch verheirateten Physiker Paul Langevin begonnen hatte, schrieb ihr Einstein einen einfühlsamen Brief, in dem er sie unterstützen und trösten wollte. Er begann mit dem Satz: "Lachen Sie nicht über mich, weil ich Ihnen schreibe, ohne irgendetwas Vernünftiges sagen zu können."
Das zweite große Gebiet, auf dem Einsteins zukünftige Biografen nicht ohne eingreifende Revisionen der herkömmlichen Urteile auskommen werden, ist Einsteins Opposition zu der Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik und seine späte Physik.
Einsteins Quantenphysik
Einstein war zwar einer der Väter der Quantenmechanik, aber er war nie davon überzeugt, dass sie der "wahre Jakob" sei. Lee Smolin schreibt dazu: "Es ist schon bemerkenswert, dass Einsteins letzte wichtige Arbeit über Quantenmechanik, gemeinsam mit Boris Podolski und Nathan im Jahr 1935 geschrieben, in den letzten Jahren immer mehr ins Zentrum der Diskussion über ein Verständnis der Quantenmechanik gerückt ist. (Als Einstein sie verfasste, sahen viele seine Fähigkeiten bereits im Niedergang begriffen.)"
In dieser Arbeit ging es um die Frage der realistischen Deutung der Quantenphysik. Ihr Kern besteht aber aus kritischen Argumenten für Einsteins Ansicht, die Quantenmechanik sei noch unvollständig. Lee Smolin zufolge besteht die bleibende Bedeutung dieser Arbeit aber darin, dass hier erstmals ein Merkmal der Quantenmechanik klar beschrieben wird, welches man heute unter dem Stichwort der Verschränkung von Quantenzuständen diskutiert. Was damals nur in einem Gedankenversuch, in einem philosophischen Kontext behandelt wurde, wird heute zur Grundlage neuer Kommunikationstechnologien: Erst vor kurzem hat ein Wiener Team um Anton Zeilinger über eine Distanz von 144 km verschränkte Zustände realisiert.
Einstein galt in seinen letzten Jahren als Leitfossil, auf dessen Besitz die Universität Princeton stolz war. Seine Physik in dieser Zeit, seine Suche nach einer allgemeinen Feldtheorie, litt allerdings nicht unter der "Fossilisierung". Lee Smolin meint, dass Einsteins Dissens zur Quantentheorie und seine Suche nach einer allgemeinen Feldtheorie die Antizipation einer Physik gewesen seien, die der heutigen Forschung aus einer Sackgasse helfen könnte: "Selbst viele Stringtheoretiker würden zugeben, dass das, was heute in der Stringtheorie passiert, in vielem dem ziemlich ähnlich ist, was Einstein damals in Princeton versuchte."Literatur:Lee Smolin: The Other Einstein. New York Review of Books, 14. Juni 2007.Dennis Overbye: Einstein in Love. Penguin Books, October 2001.Roger Highfield, Paul Carter: Das geheime Leben des Albert Einstein. Eine Biografie. Byblos Verlag 1995.Jürgen Neffe: Einstein. Eine Biografie. Rowohlt Taschenbuch 2006.Über den Autor
Peter Markl ist Professor für Analytische Chemie an der Universität Wien, wo er auch Methodik der Naturwissenschaften lehrt. Er ist Mitglied des Konrad Lorenz Instituts für Evolution und Kognitionsforschung und des Kuratoriums des Europäischen Forums Alpbach.