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Das letzte Urteil für Ratko Mladic

Politik

Das Gericht in Den Haag bestätigt die lebenslange Haft für den Ex-Militärchef der bosnischen Serben.


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Die weißen Steine reihen sich aneinander. Stele an Stele, so weit das Auge reicht – Grab- und Gedenkstätte zugleich. Der Friedhof für tausende Opfer des Genozids in Srebrenica liegt wenige Kilometer von der Stadt entfernt, in Potocari, im Osten Bosnien-Herzegowinas. Im Juli 1995 überrannten bosnisch-serbische Truppen die UNO-Schutzzone in dieser Gegend, ermordeten an die 8.000 Männer und Buben, die einen muslimischen Namen trugen.

Die Soldaten standen unter dem Kommando von Ratko Mladic, der seit dem Bosnien-Krieg mit Zehntausenden Toten und Hunderttausenden Vertriebenen auch "Schlächter vom Balkan" genannt wird. Bis 2011 war der ehemalige Militärchef der bosnischen Serben auf der Flucht, als er gefasst war, wurde er an das UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien überwiesen. Der Nachfolge-Mechanismus des Gerichtshofs bestätigte am Dienstag den Spruch von 2017 in erster Instanz: lebenslange Haft wegen Völkermordes und anderer Kriegsverbrechen. Damit ist das Urteil rechtskräftig.

Die Liste der Verbrechen, die Mladic angelastet werden, ist lang. Dazu zählen sowohl die gut dreijährige Belagerung und der Granatenbeschuss von Sarajevo mit mehr als 10.000 Opfern, darunter 1.600 Kindern, Vertreibungen nicht-serbischer Bevölkerung, Morde, aber auch die Geiselnahme von UNO-Soldaten.

Aufarbeitung nicht beendet

Im Berufungsverfahren setzte sich die Verteidigung im Vorjahr für den Freispruch oder eine Wiederholung des Prozesses ein. Die Anklage forderte hingegen, Mladic nicht nur des Völkermordes in Srebrenica, sondern auch in weiteren sechs bosnischen Gemeinden für schuldig zu erklären.

Nun muss sich ein Land finden, in dem der 78-Jährige für den Rest seines Lebens im Gefängnis sitzt. Sein ehemaliger politischer Gefährte und Ex-Präsident der Republika Srpska, Radovan Karadzic, der 2019 ebenfalls zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, verbüßt seit Mai in Großbritannien seine Strafe.

Der Prozess gegen Mladic war der letzte große des Tribunals in Den Haag und auch der letzte internationale zum Massaker in Srebrenica. Tausende Seiten an Dokumenten wurden dabei ausgewertet und hunderte Zeugen befragt.

Doch die Aufarbeitung der Geschichte ist damit keineswegs abgeschlossen. Nach hunderten Opfern des Massenmordes wird noch immer gesucht. Bosnien-Herzegowina, wo so gut wie jede Familie im Krieg einen Verwandten verloren hat, ist ein politisch wie gesellschaftlich zerrissener Staat, selbst in der Hauptstadt Sarajevo ist die Trennung zu sehen. Im Landesteil Republika Srpska, in dem serbische Nationalisten an der Macht sind, wird Mladic von einigen nicht als Verbrecher sondern als Held angesehen. In seiner Geburtsgemeinde Kalinovik ist sein aufgemaltes Konterfei auf Gebäudemauern zu sehen. Ähnliche Porträts des Ex-Generals gibt es auch in der serbischen Hauptstadt Belgrad. Mladics Verehrer sehen die Prozesse gegen ehemalige serbische Machthaber als politische Verfolgung und ungerechtfertigte Schuldzuweisung.

"Größter Verbrecher"

Dabei sollte der Ex-Militärchef als "größter Verbrecher in der Geschichte der Region" angesehen werden, sagt Fikret Grabovica der Nachrichtenagentur Reuters. Er verlor seine elfjährige Tochter Irma während der Belagerung von Sarajevo.

Mela Softic wiederum, die die Einkesselung der Stadt als Kind erlebt hatte, macht sich kaum Hoffnungen auf einen Gesinnungswandel unter den serbischen Nationalisten: Das Urteil werde die unterschiedlichen Auffassungen von den Geschehnissen in den 1990er Jahren nicht ändern. "25 Jahre später habe ich das Gefühl, dass der Krieg noch immer nicht vorbei ist."

Von anderen aber wird der Prozess und sein Abschluss als symbolhaft betrachtet. "Es war wie eine unendliche Geschichte, von der viele dachten, sie würde tatsächlich nicht zu Ende gehen" – doch dem wäre nicht so, erklärt Iva Vukusic, die an der Universität Utrecht lehrt, Reuters. Die Historikerin betont, dass das Gerichtsurteil nicht nur ein Signal an die Kriegsopfer sendet, sondern ebenfalls an Menschen in anderen Konfliktgebieten, etwa in Syrien.

Das Signal sei, dass "Dinge möglich sind, auch wenn dies hoffnungslos erscheint", meint Vukusic. Immerhin hat sich Mladic fast 16 Jahre der Justiz entzogen – und wurde dann schließlich doch in Serbien verhaftet. (czar)