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Die Antwort auf die Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre lautet mehr Europa, meint Ex-EZB-Präsident Trichet.
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Brüssel. Jean-Claude Trichet war von 2003 bis 2011 Präsident der Europäischen Zentralbank. Heute ist er der europäische Vorsitzende der Trilateralen Kommission, einer Gesellschaft mit rund 400 höchst einflussreichen Mitgliedern aus Europa, Nordamerika und Japan sowie einigen ausgesuchten Vertretern außerhalb dieser Wirtschaftszonen.
"Wiener Zeitung": Die Kritik an der Eurorettung lautet: Die Regierungen hätten zu sehr auf Austeritätsmaßnahmen gesetzt und wachstumsfördernde - und damit Arbeitsplätze schaffende - Investitionen vernachlässigt. Halten Sie diese Kritik für legitim?Jean-Claude Trichet: Es ging nicht um Austerität der Austerität willen. Wir brauchten ein Programm, um bestimmte Volkswirtschaften wieder in die Balance zu bringen. Einige Länder waren zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Krise schwer aus der Balance, ihre Wirtschaft war schlecht gemanagt. Österreich war ja - wie auch Deutschland und eine Reihe anderer Länder - nicht in dieser Kategorie, sondern war vorsichtiger. Nach der Lehman-Pleite 2008 drehte sich der Wind der Weltwirtschaft und allen wurde bewusst, dass man stärker auf Risiken achten muss. Der Rest der Welt wollte plötzlich nicht mehr die Defizite einiger Länder auf ewig finanzieren. Wenn ein Land Jahr um Jahr Leistungsbilanzdefizite erwirtschaftet, also mehr konsumiert, als es produziert, dann muss dieses Defizit finanziert werden. Einige Länder hatten Leistungsbilanzdefizite von fast 15 Prozent, die Menschen sind dann ein Niveau von Ausgaben gewöhnt, das längerfristig völlig unrealistisch ist. Wenn man zu einem normalen Leistungsbilanz-Niveau zurückkehren will, dann ist das zuerst einmal äußerst schmerzhaft, aber alternativlos, denn man muss Stück für Stück wieder zur Balance zurückfinden. Die Lage der Defizitländer vor der Krise war eine Fehlentwicklung, die Austeritätspolitik danach eine Folge dieser Aberration, dieser Abweichung vom normalen Zustand.
Die in den Krisenländern verhasste Troika aus EZB, Währungsfonds und EU-Kommission hat also alles richtig gemacht?
Die Kritik an der Troika ist ungerecht. Man darf eines nicht vergessen: Die Kommission muss die Regierungen der Gläubigerländer davon überzeugen, dass die hilfsbedürftigen Länder es auch wert sind, dass man ihnen Geld borgt, ihnen Gewissheit geben, dass sie in der Lage sein werden, das geborgte Geld auch zurückzuzahlen. Das österreichische Parlament ist den Bürgern gegenüber verantwortlich und muss die Sicherheit haben, dass es richtig ist, dem Land X oder Y oder Z finanziell unter die Arme zu greifen.
Es wurden wirklich keine Fehler gemacht?
Ich glaube, dass in vielen Fällen die Regierungen und Parlamente in einigen Staaten die Tendenz hatten, jene zu schützen und zu unterstützen, die bereits einen Job hatten, und dabei vergaßen, dass sie damit noch mehr Arbeitslosigkeit erzeugen. Sie haben mit dieser Politik auch jene vergessen, die nicht am Arbeitsmarkt teilnahmen oder gerade versuchten, in den Jobmarkt einzutreten. Ein weiterer Fehler war natürlich, dass in jenen Ländern, die in Schwierigkeiten geraten waren, Investitionen zugunsten der laufenden Ausgaben zurückgestellt wurden. Da fehlten dann Wachstums-Impluse.
Wie lassen sich solche schweren Krisen in Zukunft vermeiden? Lautet die Lösung "mehr Europa"?
In der Tat. Wir brauchen ein viel größeres europäisches Budget, das dann auch antizyklisch wirksam werden könnte. Diese Idee gibt es schon längere Zeit, nur haben wir noch keinen Konsens darüber erzielt. Auf europäischer Ebene wurde eine ganze Reihe von Maßnahmen gesetzt: Wir haben den europäischen Stabilitätsmechanismus geschaffen, die Bankenunion aus der Taufe gehoben und das Gesamtwirtschaftliche Ungleichgewichtsverfahren. Mit Letzterem kann man den Aufbau von makroökonomischen Ungleichgewichten in Europa rasch erkennen und Gegenmaßnahmen in die Wege leiten. Dass man den Stabilitätspakt ernster nehmen muss, ist heute auch jedem bewusst. Ich glaube aber auch, dass wir ein höheres Ausmaß an demokratischer Kontrolle brauchen.
Wie soll das funktionieren?
Eines der Probleme des Stabilitätspakts ist, dass Ländern, die die Regeln verletzen und Empfehlungen ignorieren, eine Strafe auferlegt wird. Das funktioniert aber nicht so richtig. Besser wäre es, die Europäische Kommission, den Europäischen Rat und - von entscheidender Bedeutung - das Europäische Parlament direkt über Maßnahmen entscheiden zu lassen, die dem Land auferlegt werden sollen. Ich spreche dabei von der Aktivierung einer "Föderation in Ausnahmefällen" innerhalb der Eurozone. Das Europaparlament soll dabei eine zentrale Rolle spielen: Maßnahmen, die von der EU-Kommission vorgeschlagen und vom Europäischen Rat abgesegnet werden, müssen dann noch mit Mehrheitsbeschluss durch das Europaparlament. Die nationalen Parlamente haben die Möglichkeit, ihr Handeln vor dem Europaparlament zu erklären, das Europaparlament wiederum kann die Wichtigkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen für die Stabilität der europäischen Wirtschaft argumentieren. Das letzte Wort hätte aber das Europaparlament.
Die Kritiker der Bankenrettung argumentieren, man habe zwar die Banken gerettet, aber auf die Menschen vergessen.
Dem würde ich widersprechen. Hätten wir die Banken nicht gerettet, was wäre die Folge gewesen? Eine Depression mit Massenarbeitslosigkeit und Massenelend. Was aber jetzt zählt, ist, in Europa wieder Vollbeschäftigung zu erreichen. Österreich hat sich während der Krise ja ganz gut geschlagen, Deutschland ebenso.
Die soziale Schere klafft aber immer weiter auseinander, wie auch Ihr Landsmann, der französische Ökonom Thomas Piketty in seinem Buch "Das Kapital im 21. Jahrhundert" zeigt.
Die hohen Löhne steigen noch weiter, weil ein Bildungsprivileg in unserer hochtechnisierten Gesellschaft höhere Einkommensmöglichkeiten verspricht und in vielen Bereichen hohe Kompetenz und besonderes Wissen und Talent begehrt sind. Am unteren Ende der Einkommensskala sehen sich die Menschen aber einem höheren Wettbewerb ausgesetzt, da sie mit den Arbeitern in Niedriglohnländern in Konkurrenz stehen. Der Versuch, dem Problem mit Steuern entgegenzutreten, ist wiederum nicht erfolgreich, weil man sich es nicht leisten kann und will, die Wohlhabenden in Steueroasen zu vertreiben.