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Das Licht ausgelöscht

Von Kerstin Kellermann

Gastkommentare
Kerstin Kellermann ist freie Journalistin in Wien, seit 2003 ständige Reporterin des "Augustin". Sie war koordinierende Redakteurin der Flüchtlingszeitschrift "Die Bunte (Zeitung)", Redakteurin für das Musikmagazin "skug" und hat gemeinsam mit Mia Zabelka und Alfred Pranzl das Shoah Memory Festival "Polska skug A radikal" organisiert und kuratiert.
© Lisbeth Kovacic

Es ist an der Zeit, zum Holocaust neue Themen in den öffentlichen Fokus zu bringen.


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Mit dem Sterben der letzten direkten Zeugen und Zeuginnen des Holocaust gerät eine andere Generation in den Fokus: jene, die Kinder waren, als sie flüchteten oder versteckt wurden. Damit tauchen neue Themen auf: Missbrauch zum Beispiel, sowohl schon vorher als Kleinkind vor dem Holocaust etwa durch ein Kindermädchen, aber vor allem in den Pflegefamilien, die jüdische Kinder aufnahmen; Kinder, die ihre Eltern verloren hatten, die alleine auf sich gestellt waren; ausgeliefert den neuen Pflegeeltern. Die Hamburger Autorin Peggy Parnass, die in zwölf verschiedenen Pflegefamilien aufwuchs, spricht offen darüber: Sie versuchte als Kind sogar dreimal, ihren kleinen Bruder, der woanders leben musste, zu entführen und haute selber immer wieder ab. Sie hasste die Pflegefamilien. Ihre Mutter Hertha war dem Vater Simon Pudl Parnass ins KZ gefolgt - sie wollte nicht ohne ihn sein.

Ein weiteres wichtiges Thema sind die Schäden an den Nachfolgegenerationen: Nachfahren von Holocaust-Überlebenden, deren eigene kleine Kinder gefährdet sind; an mysteriösen Krankheiten leiden; manchmal plötzlich und unerklärlicherweise sogar sterben. Die israelische Therapeutin Yolanda Gampel beschreibt diese Gefahren der Übertragung und Ausstrahlung in ihrem Buch "Kinder der Shoah. Die transgenerationelle Weitergabe seelischer Zerstörung". Sie arbeitet mit Kleinkindern.

Hinzu kommt, dass viele Nachfahren bis heute keine öffentliche Anerkennung erfuhren, deren Vorfahren quasi als "Individualisten" im KZ waren. Was passiert mit einer Nichte, deren Tante in Auschwitz ermordet wurde, nachdem sie mit dem Küchenmesser ihre Kinder gegen die Gestapo verteidigt hatte? Sie lebt schwerkrank und verarmt in einem Wiener Altersheim. Was ist mit dem Kärntner Bergbauern, der Zigaretten für die Partisanen versteckt hatte und deswegen nach Dachau musste? Er wurde nachher nie wieder der, der er vorher war und starb früh, der staatenlose slowenische Bauer von der Grenze. KZ-Überlebende oder Geflüchtete, die früh starben - ihre Nachfahren leiden meist an gesundheitlichen und finanziellen Problemen, die zu verpassten Gelegenheiten führen. So lagern etwa in einem Ottakringer Gemeindebau dutzende Bilder eines Auschwitz-Überlebenden. Der Neffe verfügt über keine finanziellen Mittel für eine Ausstellung der Stillleben, Landschaften und wunderschönen Menorah-Serie mit Gedichten dazu. Die Nachfahren sind ebenfalls getroffen, der Holocaust wirkt - bisweilen tödlich - auch in der dritten Generation nach. Die Trauer um zwei aktuell betroffene Wiener Kinder ist immens.

Der Nationalfonds sollte seine "Gestezahlungen" - bisher nur an vor 1945 geborene Überlebende - überdenken und möglicherweise etwas großzügiger gestalten. Denn was ist eigentlich mit den Nachfahren von Menschen, die sich lieber selber das Licht auslöschten, als in die Hände der Nationalsozialisten zu fallen? Jene, die den Freitod gewählt haben, können schlecht selber ansuchen. Eine Idee wäre auch, die "Gestezahlungen" mit der Auflage Kunst zum Thema zu gestalten zu verbinden.