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Das Licht des Südens

Von Ingeborg Waldinger

Reflexionen

Die provenzalische Stadt Arles verfügt über ein reiches Kulturerbe, ein renommiertes Fotofestival - und ab 7. April auch über eine neue Kunstinstitution: die "Fondation Vincent van Gogh Arles".


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Van Goghs Modernität: Expressive Farbkontraste und dynamische Pinselführung. Die Fondation Vincent van Gogh Arles zeigt in der Eröffnungsausstellung u.a. das "Selbstbildnis mit Pfeife und Strohhut" (1887; li.) und "Das gelbe Haus" von Arles, wo der Maler sich eingemietet hatte (1888; beide Van Gogh Museum Amsterdam).
© Fondation VIncent van Gogh Arles

Sehnsuchtsorte sind Orte des Kontrastes. Sie sind das erträumte, idealisierte Gegenbild zu einer konkreten, als mangelhaft empfundenen Lebenswelt. Und dieses Manko hat stets eine emotionale oder atmosphärische Dimension. So sehnen sich Menschen aus blassen, kühlen Landstrichen oft nach dem Licht des Südens.

Auch der altösterreichische Schriftsteller Joseph Roth träumte in seinem ostgalizischen Heimatstädtchen Brody von einem luminösen Süden. Sein Sehnen galt dem "mittäglichen Frankreich", genauer: den sogenannten "weißen Städten" des Midi. Jahrzehnte später hat er sie dann bereist, als Korrespondent der "Frankfurter Zeitung": Lyon, Vienne, Avignon, Tarascon, Marseille - und jene Stadt, die im Mündungsgebiet der Rhône am nördlichen Rand des wildschönen Naturparks Camargue liegt: Arles.

Klangreiche Mauern

Gegründet von den Kelten und weiterentwickelt von den Griechen, war Arles zum Kolonialzentrum der Römer erblüht. Von seiner Zeit als gallisches Rom zeugen das Amphitheater, die Reste des Forums, die Nekropole Alys-camps - und die Schätze des imposanten Musée départemental Arles antique. Auf den Glanz der Antike folgten dunkle Zeiten, ehe die Stadt im Mittelalter abermals erstrahlte: als Bischofssitz und als Krönungsort des Burgunderreichs. Für Joseph Roth hatte Arles "viel von vegetativem Stein und lebendigem Marmor". Mit jedem Jahr würden seine alten Mauern klangreicher, wie alte Geigen. Im Jahr 1981 wurde die römische und romanische Architektur der Stadt in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen.

Der Reiz dieses baukünstlerischen Reichtums wird noch verstärkt durch ein Naturphänomen: das magische Licht des Südens, das Licht der Provence. Es lässt Farben in unvergleichlicher Intensität erstrahlen. Und ebendieser Farbenrausch hatte einen Maler in ganz besonderem Maße fasziniert: Vincent van Gogh (1853-1890). Noch in seiner Heimat, den Niederlanden, hatte er sich intensiv mit neuen Farbtheorien beschäftigt. Von großem Einfluss war dabei jene von Eugène Delacroix gewesen, den die Lichtverhältnisse im Orient und deren Effekte auf alles Farbige bezaubert hatten.

Van Goghs eigene Palette war in jenen Jahren freilich noch dunkel, erdig, gedämpft. Doch die Lust am Experiment mit der Farbe war geweckt. 1886 erfolgte ein entscheidender Tapetenwechsel. Mit der Übersiedelung nach Paris geriet Van Gogh in den Bann des impressionistischen Farbzaubers; auch der japanische Farbholzschnitt hinterließ tiefe Eindrücke. Die Töne wurden kräftiger. Nur zwei Jahre später, im Februar 1888, zog der Maler dann nach Arles. Und blieb bis Mai 1889. Nun entwickelte er seinen expressiven, an Farbkontrasten so reichen Stil. In einem Brief an Bruder Theo pries er das neue Umfeld, wo man "die schönen Gegensätze von Rot und Grün, von Blau und Orange, von Schwefelgelb und Lila von Natur aus findet."

Bald griff Van Gogh die Idee des Arlesianer Malers Jacques Réattu auf, in der Stadt eine Künstlerkolonie zu gründen. Es blieb beim Wunsch. Für Réattu, wie auch für Van Gogh. Letzterer hatte einzig Paul Gauguin nach Arles holen können, doch die beiden Schwierigen fanden nicht zueinander. Im Gegenteil: Die mysteriöse Geschichte, wonach Van Gogh sich nach einem wilden Streit mit Gauguin einen Teil des Ohrs abgeschnitten habe, lässt bis heute Fragen offen. Jedenfalls begann für den Niederländer eine nächste Etappe. Sie führte über die Heilanstalt des provenzalischen Saint-Rémy (dort entstand etwa die berühmte "Sternennacht") zu Bruder Theo nach Paris und weiter nach Auvers. Abermals explodierte Van Goghs schöpferische Energie. Er malte die Dorfkirche, Docteur Gachet, Flusslandschaften, Getreidefelder. Am 27. Juli 1890 nahm sich der Maler sich in Auvers das Leben.

Das Kapitel Arles hingegen war und blieb ein besonderer Markstein im Leben dieses Ausnahmekünstlers: Hier erlebte er die Hochblüte seines zehnjährigen Schaffens. An die zweihundert Gemälde, hundert Zeichnungen und Aquarelle entstanden damals, auch über zweihundert Briefe datieren aus jener Zeit. Zu seinen berühmten Bildern der Stadt zählen etwa "Das Gelbe Haus" (siehe oben), das "Schlafzimmer des Künstlers im Gelben Haus" oder das "Nachtcafé"; ferner "Die Brücke von Arles", einige Fassungen der "Sonnenblumen" und Naturbilder wie "Der rote Weinberg".

Dennoch besitzt die Stadt kein Gemälde des Jahrhundertkünstlers. Um dessen Geist und nachhaltige Wirkung gebührend zu würdigen, gründete Yolande Clergue 1983 den Verein "Fondation Van Gogh". Als Vorsitzende und Direktorin baute sie eine Sammlung bedeutender Werke von Künstlern des 20. und 21. Jahrhunderts auf, die sich in verschiedensten Disziplinen mit Van Gogh auseinandersetzten: Maler und Bildhauer, Fotografen, Schriftsteller und Musiker.

Mäzen Luc Hoffmann

Im Jahr 1996 trat ein prominenter Mäzen dem Verein bei, der Arles wie auch der Camargue seit Jahrzehnten tief verbunden ist: Luc Hoffmann. 1923 in Basel geboren, leitete Luc Hoffmann zunächst das von seinem Großvater gegründete Pharmaunternehmen. Schon früh widmete er sich auch dem Schutz der Natur. Er studierte Zoologie und gründete in den 1950er Jahren eine Forschungsstation in der Camargue. Das Feuchtgebiet zwischen Arles und dem Mittelmeer wurde 1970 zum Naturschutzgebiet erklärt. Hoffmann war auch Gründungsmitglied des WWF und ist überdies Mitglied bzw. Vorsitzender mehrerer Naturschutzorganisationen.

Portal der Fondation mit bunt oszillierender Glasbox.
© Arles Tourisme

Immer aber war der Basler auch ein Freund der Kunst. In einer offiziellen Stellungnahme gegenüber der Presse erklärt er: "Meine Begegnung mit der Camargue erregte in gleichem Maße mein Interesse am Studium der Wasservögel und an der Funktionsweise von Ökosystemen in Schwemmland wie jenes an Van Gogh. Zumal da Van Gogh in Arles in gewisser Weise das gleiche Schicksal zuteil wurde wie dem Schwemmland", - nach langer Vernachlässigung werde endlich die Bedeutung des Biotops wie auch jene des Wegbereiters der Moderne anerkannt.

Und so bewirkte Luc Hoffmann 2010 die Umwandlung des bestehenden Van Gogh-Vereins in eine staatlich anerkannte Stiftung. Diese fand im zentral gelegenen Hôtel Léautaud de Donines ihren adäquaten Standort. Das Palais aus dem 15. Jahrhundert war zuletzt Sitz der Banque de France, ehe die Stadt es erwarb. Der vom Architekturteam Guillaume Avenard und Hervé Schneider konzipierte Umbau setzt auf Offenheit und ein raffiniertes Spiel mit Licht.

Am 7. April wird die Fondation Vincent van Gogh Arles mit der Ausstellung "Van Gogh Live!" eröffnet (kuratiert von der künstlerischen Leiterin Bice Curiger). An Originalen van Goghs lässt sich die Entwicklung seiner Farbpalette ablesen, und an Werken von Guillaume Bruère, Raphael Hefti, Gary Hume u.v.a. van Goghs Resonanz in der heutigen Kunst.

Die 55.000-Einwohner-Stadt Arles, die auch mit einem der weltgrößten Fotofestivals ("Rencontres") punktet, befindet sich im kulturellen Aufbruch. Ein wichtiger Impuls, bei einer Arbeitslosenquote von 15 Prozent. - Und schon finanziert Luc Hoffmanns Tochter Maja (aufgewachsen in der Camargue wie ihre Schwester, die Literaturförderin Vera Hoffmann-Michalski - siehe "extra" vom 15. 3. 2014) mit 100 Millionen Euro ein nächstes Kunstzentrum, und zwar auf dem ehemaligen Bahnwerkstätten-Gelände der Stadt: den "Parc des Ateliers".

Ingeborg Waldinger, geb. 1956, Romanistin und Germanistin, ist Redakteurin im "extra" der "Wiener Zeitung" und auch literarische Übersetzerin.