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Die Tage des "Literarischen Quartetts" sind gezählt. Eigentlich war dessen Ende schon nach dem Abgang Sigrid Löfflers absehbar, lebte diese Büchersendung doch nicht zuletzt von ihrer einzigartigen Zusammensetzung und den unter-
schwelligen, immer häufiger aber auch offen ausgetragenen persönlichen Animositäten, Eifersüchteleien und Eitelkeiten. Reich-Ranicki hat sich inzwischen schon ein neues Standbein geschaffen: Auf 3sat kann er nun samstags eine Dreiviertelstunde lang vor Mitternacht ein literarisches Solo bestreiten. "Lauter schwierige Patienten" heißt die Sendung, und es geht um die Großen der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts, um Kaliber wie Böll, Bachmann oder Brecht. Und da Reich-Ranicki sie alle persönlich gekannt hat, erzählt er auch von eigenen Begegnungen und Erfahrungen.
Das Format ist zwar als Gesprächssendung getarnt, doch Marcel Reich-Ranickis Gegenüber - Fernsehintendant Peter Voß - ist nur ein Stichwortbringer, vergleichbar etwa mit jenen Personen, die bei einem Konzert dem Starpianisten beim Umblättern der Noten behilflich sind. Er müht sich redlich und hat sich immer gut vorbereitet, doch er wird von
Reich-Ranicki höflich behandelt - und nicht ernst genommen. Und das ist es, was dieser Sendung so fehlt: der Widerspruch und der Streit.
Was für eine Reaktion hätte beispielsweise sein Eingeständnis ausgelöst, dass man auch ihm, Reich-Ranicki, wie einst Erich Kästner, vorgeworfen hätte, ein "Oberlehrer" zu sein! Da hätte Löffler, sekundiert vom schwitzenden Karasek,
sofort eingehakt und zu einer Attacke ausgeholt. Oder sie
hätte zumindest spitz und hintergründig gelächelt. Reich-
Ranicki aber fühlt sich wohl in dieser neuen Konstellation. So sind eben die Literatur-Päpste: Sie halten sich für unfehlbar und dulden keinen Widerspruch.