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Das lukrative Geschäft mit den Stimmen

Von WZ-Korrespondentin Agnes Tandler

Politik

Nicht das Parteiprogramm zählt, sondern die Macht der Wählerbanken.


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In einem Teehaus in Lahore verfolgen die Männer die neuesten TV-Wahlberichte - die Wahlplakate dienen mehr der Verzierung.
© reu

Lahore. Die letzte Wahl war eine echte Katastrophe für Mateen Khan und seine Familie. Denn der Farbenfabrikant aus Lahore hatte auf das falsche Pferd gesetzt. Der über 80-Jährige verkaufte damals die Wählerstimmen an die falsche Partei - ausgerechnet an die PLM-Q von Ex-Militärherrscher Pervez Musharraf, der die Wahl verlor und nun politisch kaltgestellt unter Hausarrest steht. "Das hat sich für uns gerächt", sagt sein Enkel Shahbaz Khan. Mateen Khan ist vor zwei Jahren gestorben. Sein Sohn Bashir führt die Geschäfte weiter. Wie sein Vater sammelt auch er Stimmen - "für einen guten Zweck", wie er bekräftigt. "Wir verstehen uns als Sozialarbeiter". In den engen Gassen hinter dem Firdous-Market in Lahore sind es etwa drei- bis viertausend Stimmen, über die die Familie bestimmt - die meisten von ihnen sind ethnische Paschtunen wie die Khans, die sich hier nach der Teilung Indiens und Pakistans 1947 angesiedelt haben.

Diese Stimmen können in Pakistan über einen Parlamentssitz entscheiden. Und Männer wie Bashir Khan sind ein Schlüssel zum Wahlerfolg. In den armen, ländlichen Gebieten Pakistans bestimmen immer noch mächtige Feudalherren, für wen die Menschen votieren. Doch in den Städten sind es Männer wie die Khans, die großen Einfluss genießen, weil sie eine ganze Bank von Wählern hinter sich haben. In Pakistan wird nicht nach politischer Überzeugung gewählt, sondern nach Opportunität. "Wählbarkeit", ist ein wichtiges Kriterium. Und wählbar ist derjenige Kandidat, der den Wahlkreis vermutlich gewinnen wird. Denn nur so rentiert sich das Geschäft mit den Wählern politisch.

Es ist eine arme Gegend, in der die Khans leben. Ein paar Ziegen suchen nach Essbarem auf der staubigen Straße vor dem kleinen Büro mit Plakaten und Flugblättern. Eine gebückte, ältere Frau grüßt respektvoll, während sie langsam vorbeigeht. Wie sein Vater empfängt auch der 38-jährige Bashir täglich Bittsteller, Hilfesuchende, Ratlose und Verzweifelte. Mit seiner sympathischen und offenen Art löst er Probleme und Sorgen. Es geht um Wasserversorgung, Arbeit, Schulen und natürlich auch um Gesundheitsversorgung. Im armen Pakistan kann ein Unfall oder eine Krankheit eine ganze Familie in den finanziellen Ruin stürzen. Und er vermittelt auch schon mal auf der Polizeistation, wenn jemand, den er hier kennt, verhaftet wurde.

Auch eine Glücksfrage

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Diesmal unterstützt Bashir Khan die PML-N von Nawaz Sharif. Der zweimalige Premierminister von Pakistan gilt als aussichtsreichster Kandidat bei den Wahlen am heutigen Samstag. Der von Saudi-Arabien gestützte Politiker, der sich einst gern als "Schatten Gottes auf Erden" bezeichnen ließ, hat eine starke Wählerbasis in Lahore, der Hauptstadt des Punjab, der bevölkerungsreichsten Provinz des Landes. Der Gegenspieler von Nawaz Sharif ist der frühere Cricket-Star Imran Khan, der eine dramatische Wandlung vom Playboy mit goldener Ray-Ban-Sonnenbrille zum guten Muslim und selbsternannten Retter von Pakistan vollzogen hat. Während der 63-jährige Sharif auf alte Loyalitäten und Netzwerke zählen kann, ist Imran politisch noch ein unbeschriebenes Blatt. Seine Partei, die Pakistan Tehrik-i-Insaaf (PTI), setzt auf die Stimmen von Pakistans Jugend. Ein Fünftel der 86 Millionen Stimmberechtigten ist unter 26 Jahre alt. Imran Khan verspricht ein Ende von Korruption und Cliquenwirtschaft.

Anti-westliche Parolen

Der 60-Jährige nutzt zudem die anti-amerikanische Stimmung in Pakistan, um Anhänger für seine Partei zu gewinnen. Doch der neue Hoffnungsträger liegt zurzeit mit einer Wirbelverletzung im Krankenhaus, nachdem er bei einer Kundgebung in Lahore von einem Gabelstapler gefallen ist, der ihn auf eine Tribüne heben sollte.

Auch Sharif geht mit einer antiwestlichen Agenda auf Stimmenfang. Er verspricht ein Ende der Allianz Pakistans mit den USA im Krieg gegen den Terrorismus - eine trübe Aussicht für die USA, die sich im kommenden Jahr aus dem Nachbarland Afghanistan zurückziehen werden.

Sharif ist für seine Ouvertüren gegenüber den Taliban bekannt. Das tut seiner Beliebtheit in Lahore, der boomenden 15-Millionen-Metropole des Punjab, wenig Abbruch. Sein Bruder Shahbaz Sharif hat als Regierungschef der Provinz fünf Jahre viel an der Infrastruktur gearbeitet, um die Sharif-Partei PML-N (Pakistani Muslim League-N) den dortigen Wählern zu empfehlen.

"Wir waren eigentlich immer für Sharif", sagt Bashir Khan. Doch das stimmt nicht ganz. Sein Vater Mateen hat die Pakistanische Volkspartei (PPP) unterstützt, als Benazir Bhutto Premierministerin wurde. Danach war er zum richtigen Zeitpunkt auf Nawaz Sharif umgeschwenkt, als dieser an die Macht kam und hat für die PML-Q geworben, als Musharraf regierte. Selten lag er mit seiner Diagnose der politischen Stimmung falsch - wie 2008, als er sich auf die Seite Musharrafs schlug - aber die PPP gewann.

"Das war Pech vor fünf Jahren", erklärt Bashir Khan. Die PPP sei nur wegen des Mordes an Bhutto gewählt worden. Doch inzwischen sei die Regierungspartei unter Führung von Bhutto-Witwer Asif Ali Zardari ein Schatten ihrer selbst. Und wirklich - in Lahore könnte man meinen, die Partei existiere schon nicht mehr. Keine Kundgebungen, keine Plakate, kein Wahlkämpfer. Die aufständischen Taliban haben bereits das Feld bestellt, auf dem der Wahlkampf stattfindet. Ihre Attentate zielen auf liberal-säkulare Parteien wie die PPP. Aus Sicherheitsgründen bleiben die meisten Kandidaten lieber daheim, weil sie um ihr Leben fürchten. Der Sohn von Ex-Premier Yusuf Raza Gilani - einer der einflussreichsten PPP-Politiker - wurde auf einer Wahlveranstaltung im Punjab von Unbekannten gekidnappt. Weitgehend verschont von Taliban-Attacken blieben hingegen die Parteien von Khan und Sharif.

"Die PPP ist am Ende", sagt Bashir. Die Partei habe nur Unglück über das Land gebracht. Die Wirtschaft sei am Boden, es gebe keinen Strom. Bashir hat nach dem Tod des Vaters die Farbenfabrik schließen müssen. Wir hatten 15 Maschinen und 25 Angestellte, aber ohne Strom konnten wir nicht produzieren", sagt er. Nun ist fast alles Fabriksinventar verkauft. Bashir vermietet Zimmer in seinem Haus und verdient so Geld. "Die letzten fünf Jahre sind für uns und für ganz Pakistan ein Desaster gewesen." In dieser Woche sei die Stromversorgung relativ gut gewesen, doch davor habe es nur alle vier Stunden eine Stunde Elektrizität gegeben. Nawaz Sharif habe versprochen, das zu ändern. Bashir lobt die Arbeit von Sharifs Bruder Shahbaz als Ministerpräsident der Punjab-Provinz. Er habe ein Busnetz geschaffen, neue Straßen gebaut, Parks gepflegt. Die PPP unter Zardari habe nichts für Pakistan getan, betont er. Nawaz Sharif werde ein besseres und schönes Pakistan schaffen.

Von Imran Khan hält Bashir wenig. "Es ist ein Unterschied, ob man elf Cricket-Spieler oder ein Land leitet", sagt er über den früheren Kapitän des pakistanischen Nationalteams. Seine Partei, die PTI, mache hier wenig Wahlkampf. Hingegen habe der Kandidat der Sharif-Partei ihnen endlich einen Friedhof versprochen. Und dann sei da noch die Sache mit der Mädchenschule. Die PPP habe die Grundbücher gefälscht und einen neuen Besitzer eingetragen. Die Schule sei nun geschlossen worden. Bashir hofft, dass der Kandidat der PML-N im Punjab, Khawaja Ahmed Hassan auch diesen Missstand beheben werde. "Wir brauchen eine Schule für unsere Mädchen hier." Wie sein Vater verkauft auch Bashir Khan seine Stimmen nicht aus reiner Freundschaft.

Am Rande
Sie galt als eines der bekanntesten Opfer während des brutal geführten Wahlkampfes in Pakistan. Während einer Wahlveranstaltung von Muslimliga-Kandidat Nawaz Sharif in Lahore brach die stets als Partei-Maskottchen auftretende weiße Tigerdame Sany (das Parteisymbol der PML-N.) unter der sengenden Hitze zusammen. Sie musste ins Veterinärspital gebracht werden, wo sie, bereits bewusstlos, verstarb – so berichten mehrere Lokalmedien am Mittwoch. Als Todesursache wurde ein "anstrengender Wahlkampf-Zeitplan" genannt. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Pakistans sozialen Netzwerken. Und führte zu lauten Protesten von Tier- und Umweltschutzorganisationen wie dem WWF; zumal weiße Tiger unter Artenschutz stehen. Doch dann kam Entwarnung: Das Tigerweibchen sei quicklebendig, berichtete BBC nach einem Lokalaugenschein in der Höhle, in der sie lebt. Doch viele Anhänger sind skeptisch. "Warum gibt es dann keine neuen Fotos von ihr?", twittern einige.