Gesänge dienen dazu, Weibchen zu becircen und Rivalen zu verscheuchen.
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Marne/Holstein. Wenn der April zu Ende geht, kehren die Nachtigallenweibchen aus ihren afrikanischen Winterquartieren in ihre heimischen Gefilde zurück. Dort werden sie schon sehnsüchtig von den Männchen erwartet, die sofort versuchen, mit virtuosen Arien auf sich aufmerksam zu machen. Um mit ihren Gesangskünsten die Weibchen anzulocken, legen sich die unverpaarten Männchen von elf Uhr nachts bis zur Morgendämmerung unermüdlich ins Zeug.
Sobald sie aber eine Partnerin gefunden haben, singen sie nur noch tagsüber und nun in erster Linie, um ihr Revier gegen Rivalen zu verteidigen. Dabei neigen Revierinhaber, die sich von einem Konkurrenten provoziert fühlen, dazu, besonders hastig zu singen oder, anstatt seinen Gesängen geduldig zuzuhören, ihm immer wieder ins Wort zu fallen.
Ob ein Rivale als gefährlich empfunden wird, hängt aber nicht allein davon ab, wie er singt, sondern auch davon, wo er singt. Es ist bereits seit zwei Jahren bekannt, dass ein Nachtigallenmännchen, das seine Gesänge von verschiedenen Orten aus erschallen lässt, den Revierinhaber damit häufig zu schrillen Reaktionen herausfordert. Doch welche Reaktionen ruft ein Rivale, der seine Arien schmettert, hervor, wenn er sich dabei auf gleicher Höhe wie sein Gegenspieler oder aber über ihm befindet?
Um der Sache auf den Grund zu kommen, haben die Zoologen Valentin Amrhein (Universität Basel) und Philipp Sprau (Netherlands Institute of Ornithology) kürzlich ein Experiment durchgeführt. Die Forscher berichten darüber in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins "PloS ONE".
Überraschende Entdeckung
Das Experiment fand im elsässischen Naturschutzgebiet "Petite Camargue" statt. Dort spielte man revierbesitzenden Nachtigallen aus 15 Meter entfernten und in unterschiedlichen Höhen angebrachten Lautsprechern Gesänge anderer Männchen vor - und machte eine überraschende Entdeckung. Wurde ein Revierinhaber mit Gesängen aus Lautsprechern konfrontiert, die drei Meter über ihm installiert waren, ließ ihn das ziemlich kalt, und er sang ungerührt weiter. Wurde ein Revierherr hingegen mit Gesängen aus gleicher Höhe konfrontiert, geriet er in helle Aufregung, sang viel schneller und versuchte ständig, seinen vermeintlichen Rivalen zu unterbrechen.
Amrhein und sein Team hatten etwas ganz anderes erwartet: nämlich, dass die Männchen bedrohlicher wirken würden, wenn sie sich weiter nach oben wagten. Denn ein Männchen, das sich hoch oben im Geäst aufhält, setzt sich stärkerem Wind aus und verbraucht deswegen mehr Energie. Außerdem riskiert es, eher von Greifvögeln erspäht zu werden. "Da sich nur Vögel in bester Kondition solche hohen Singwarten leisten können, hatten wir vermutet, dass es eher die höher singenden Rivalen sind, die gefährlicher wirken", sagt Valentin Amrhein.
Warum revierbesitzende Nachtigallen sich von Gesängen aus größeren Höhen kaum aus der Ruhe bringen lassen, ist noch nicht geklärt. Der Zoologe Amrhein hat hierfür zwei Erklärungen. Entweder unterstellen die Nachtigallen, dass hoch oben singende Männchen bloß auf der Durchreise sind. Oder aber diese Männchen wollen gar nicht anderen ihr Revier streitig machen, sondern nur balzen. Und wenn es ums Balzen geht, haben die von höheren Ästen aus singenden Freier wohl einen entscheidenden Vorteil: Ihre Gesänge sind besonders weit zu hören.
*Theodor Storm: "Die Nachtigall"