Wien - Am Sonntag finden in Mexiko Präsidentschaftswahlen statt, die einiges an Spannung versprechen. Während der Amtszeit von Präsident Ernesto Zedillo haben sich die sozialen Probleme des Landes dramatisch verschärft. Nach Daten der Weltbank nahm die Armut im Schwellenland Mexiko weiter zu. Mehr als die Hälfte der 50 Millionen MexikanerInnen leben heute in Armut. Wirtschaftspolitisch hielt Präsident ,Zedillo eisern an Freihandel und Neoliberalismus fest, die ihm sein heute viel geschmähter Vorgänger Carlos Salinas de Gortari mit der Unterzeichnung des NAFTA-Freihandelsabkommens zwischen den USA, Kanada und Mexiko 1994 vererbt hatte. Zedillo bemühte sich um ähnliche Abkommen, vor allem mit der Europäischen Union.
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Um symbolträchtige Daten nicht verlegen, soll dieses nach fünf Jahren Verhandlungsdauer am ersten Juli, also am Tag vor der Wahl, in Kraft treten. Mexikos Wirtschaftsminister Herminio Blanco wertet die Vereinbarung "über wirtschatliche Partnterschaft und polititsche Koordination und Zusammenarbeit", das in Europa wenig Beachtung fand, als größten wirtschaftspolitischen Erfolg von Zedillos Amtszeit und weist auf die Zunahme der Exporte seines Landes hin, die von 1993 bis 1999 von 53 Mrd. US-Dollar auf 135 Mrd. US-Dollar empor schnellten.
Nur das italienische Parlament kann Zedillo in dieser Frage noch einen Strich durch die Rechnung machen. Aus Bedenken in Sachen Menschenrechte ist Italien auf europäischer Seite das einzige Land, das dem seit Ende März ausverhandelten Abkommen bisher die Zustimmung und dessen in Kraft Treten verweigert.
Breite Sektoren der mexikanischen Zivilgesellschaft hingegen haben es offensiv bekämpft und sorgen sich um weitere negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Eine ihrer Befürchtungen ist, daß subventionierte Billigimporte aus den EU-Ländern die mexikanische Landwirtschaft und Industrie weiter schädigen. Bereits nach Inkrafttreten des NAFTA-Abkommens sind Bereiche wie die kleinbäuerliche Maisproduktion von der billigen US-amerikanischen Konkurrenz platt gewalzt worden. Denn nicht nur Mexikos Exporte sind gestiegen, sondern in noch größerem Ausmaß auch die Importe, sodass Mexiko mit fünf Mrd. Dollar letztes Jahr das größte Handelsdefizit aller lateinamerikanischen Länder aufwies.
Billiglöhne im Norden
Die Exportzuwächse sind, wie Kritiker betonen, hauptsächlich auf die boomende Maquila-Industrie an der Grenze zu den USA zurückzuführen. Dort schießen in den letzten Jahren Billiglohnfabriken aus dem Wüstensand. Außer einer schönen Exportbilanz bleibt für Mexiko dabei aber kaum etwas übrig, denn die Unternehmen der Maquila-Industrie zahlen weder Zölle noch Steuern. Die meist weiblichen Beschäftigten verdienen sieben mal weniger als ihre Kolleginnen ein paar Meilen nordwärts in den USA.
Soziale und ökologische Kriterien spielen bei diesen Arbeitsplätzen keine Rolle, und auch die Verträge mit der EU beinhalten keine arbeitsrechtlichen Kriterien.
Der Chiapas-Konflikt
In Chiapas setzte die Regierung in den letzten Jahren verstärkt auf eine Strategie des Krieges niederer Intensität, nachdem sie sich geweigert hatte, das 1996 mit den aufständischen Zapatistas ausgehandelte Abkommen von San Andrés über indigene Rechte und Kultur in Verfassungsbestimmungen umzusetzen.
Bestandteile dieses schmutzigen Krieges sind:
eine flächendeckende Militarisierung: auf eine Familie im Konfliktgebiet kommt ein schwerbewaffneter Soldat
Aufbau, Ausbau und Bewaffnung von paramilitärischen Gruppen
Desinformation und Einschüchterung der Bevölkerung und Morde an indigenen und nicht indigenen Aktivisten.
Gekürzte Sozialausgaben
Sozialausgaben wurden in Mexiko in den letzten Jahren deutlich gekürzt oder sie werden zu Stimmenkauf und unter Gesichtspunkten der Gefolgschaftstreue vergeben. Auch historische Errungenschaften wie der Gratiszugang zu Universitäten sind heute keine Tabu-Themen mehr. Dabei können sich die meisten Studierenden sowieso nur mit Jobs den Lebensunterhalt sichern. Bei dem Studentenstreik an der UNAM, der größten Universität Lateinamerikas, durch den Studiengebühren vorerst noch verhindert werden konnten, setzte Präsident Zedillo die erst jüngst geschaffene Präventivpolizei ein, mit der die zunehmenden Konflikte wohl auch in Zukunft unter Kontrolle gehalten werden sollen. Die Machtbasis der seit 71 Jahren ununterbrochen regierenden Staatspartei PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution) ist jedoch nicht mehr so unangefochten wie früher. Bei Zwischenwahlen seit 1994 hat vor allem die rechtskonservative PAN (Partei der Nationalen Aktion) weitere Gouverneursposten errungen, und in Mexiko-Stadt hat die Mitte-Links-Partei PRD (Partei der demokratischen Revolution) seit 1997 das Bürgermeisteramt inne, das damals zum ersten Mal in direkter Abstimmung bestimmt wurde.
Im Parlament mußte Zedillos PRI für Gesetzesvorhaben die Zustimmung einer Oppositionspartei gewinnen, was meistens durch Kompromisse mit der PAN geschah. Dadurch wurden dem ausgeprägten Präsidialsystem gewisse Grenzen gesetzt, andererseits aber auch ähnliche Strategien der beiden Parteien vor allem in der Wirtschaftspolitik sichtbar.
Labastida versus Fox
Den internen Machtkampf um die Kandidatur entschied in der PRI der ehemalige Innenminister und Hardliner im Chiapaskonflikt, Francisco Labastida, für sich, der auf Zedillos Unterstützung zählen konnte. Herausgefordert wird er vor allem vom populistischen Vicente Fox von der PAN, der seinem farblosen Wahlkampf an Medienpräsenz und finanziellen Mitteln einiges entgegensetzte und in vielen Prognosen als neuer Präsident gehandelt wird.
Dem PRD-Kandidaten Cuauhtémoc Cárdenas, der sich zum dritten Mal um die Präsidentschaft bewirbt und 1988 durch massive Manipulationen um den Wahlsieg geprellt wurde, werden kaum Chancen eingeräumt, einen der beiden anderen hinter sich zu lassen.
Als nachteilig erwies sich für ihn die kurze Zeit als Bürgermeister der Hauptstadt, in der er den hohen Erwartungen nicht gerecht werden konnte, ehe er vor wenigen Monaten in den Wahlkampf einstieg. Viele der potenziellen PRD-WählerInnen haben den Parteien den Rücken gekehrt und erwarten sich durch sie keine positiven Veränderungen.
Viel steht auf dem Spiel
Es steht jedoch viel auf dem Spiel, und in der angespannten Lage könnten die Wahlen zu einer Zerreißprobe werden: Dementsprechend präsentiert sich Labastida als Garant der "traditionellen Ordnung". Ob er und die PRI eine Niederlage hinnehmen würden ist ebenso ungewiß wie die Reaktionen von PAN und PRD auf massiven Wahlbetrug. Sicher ist hingegen, daß der Präsident nach dem Wahlgang Anfang Juli feststehen wird, da das mexikanische Wahlrecht keine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten vorsieht.