Mit ihrem Buch "Endlich frei" schlägt Mahtob Mahmoody, die Tochter aus dem einstigen Weltbestseller "Nicht ohne meine Tochter", das jüngste Kapitel in den iranisch-amerikanischen Beziehungen auf.
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Politik kennt viele Bühnen. Die großen im Scheinwerferlicht und die noch größeren hinter den Kulissen. Und dann gibt es jene, wo man sie am wenigsten erwarten würde: inmitten trivialer Frauenliteratur. Zwischen Ratgebern zum richtigen Abnehmen und Lebensgeschichten gelangweilter Europäerinnen, die als weiße Massais in Kenia enden, findet sich das jüngste Kapitel amerikanisch-iranischer Beziehungen. Freundlich lächelt es mit kurzen braunen Haaren vom Buchdeckel. "Endlich frei" steht darauf. Es klingt nach Inspirationsschnulze, Befreiungspathos, Selbstfindungsodyssee - so wie all die anderen Buchtitel in dem Regal. Erst auf den zweiten Blick wird klar: das hier ist Politik von aktueller Brisanz. "Endlich frei" ist die Autobiografie von Mahtob Mahmoody. Sie ist die berühmteste Tochter der Welt. Ihre Geschichte steht wie keine andere für die Beziehung zwischen dem Iran und den USA.
Entstellte Kinder
Vor knapp 30 Jahren schrieb ihre Mutter, Betty Mahmoody, das Buch "Nicht ohne meine Tochter." Darin erzählt die Amerikanerin, wie ihr iranischer Ehemann sie und ihre damals vierjährige Tochter in sein Heimatland bringt - und nicht mehr gehen lässt. Es ist das Jahr 1984. Der Iran ist ein junger Gottesstaat, im Krieg mit seinem Nachbarland Irak, und ein Paria auf der internationalen Weltbühne. Die Islamische Revolution liegt gerade einmal fünf Jahre zurück. Fünf Jahre, in denen aus einer repressiven Monarchie eine noch repressivere Theokratie werden sollte.
Auf den Straßen, auf denen zuvor die Frauen noch Miniröcke trugen, verschwinden sie nun hinter dicken schwarzen Schleiern. In dem Palast, wo zuvor noch ein vom Westen gestützter König herrschte, hetzen nun Männer mit langen Bärten die Massen gegen die einstigen Verbündeten auf. In der Hauptstadt, wo Studenten noch von ihrer Ausbildung an den Universitäten in Amerika schwärmten, besetzen sie nun die amerikanische Botschaft, nehmen US-Diplomaten als Geiseln und skandieren "Nieder mit Amerika."
In diesen Iran reist Betty Mahmoody. Eine einfache Amerikanerin aus Michigan, wie sie gerne betont. Sie kommt, um Urlaub zu machen. Ihre kleine Tochter soll die Familie ihres Mannes kennen lernen. Nur für zwei Wochen wollen sie in dem Land bleiben. So der Plan. Doch es kommt anders. Betty Mahmoodys Ehemann, Sayed Bozorg Mahmoody, will bleiben. Für immer. Aus dem sanftmütigen Arzt wird plötzlich ein jähzorniger Tyrann, der seine Frau schlägt. Die iranische Verwandtschaft schweigt. Schlimmer noch: sie bespitzelt die Amerikanerin und meldet jeden "Ungehorsam" ihrem Ehemann. 18 Monate lang hält er Betty Mahmoody im Iran fest, bis ihr schließlich gemeinsam mit ihrer Tochter die Flucht gelingt.
Auf 540 Seiten hat die Autorin ihr Martyrium beschrieben. Und sie porträtiert eine junge Islamische Republik, die zu diesem Zeitpunkt noch kaum ein Beobachter aus dem Westen kannte - oder kennen wollte. Es ist ein intimer Iran, einer, der sich nicht in Nachrichtenblocks abspielt, sondern in den eigenen vier Wänden, beim Abendessen, in der Schule oder beim Einkaufen am Markt. Es ist ein rarer, einzigartiger, aber vor allem gnadenlos dämonisierender Einblick. Denn in diesem Iran wimmelt es von Barbaren, die in Löcher im Boden pinkeln und sich nur einmal im Jahr waschen. Die Männer schlagen ihre Frauen. Die Frauen lassen es zu und gebären ihnen entstellte Kinder mit leeren Augen, die später blind jeder Autorität folgen. Nur vereinzelt scheint es an diesem apokalyptischen Ort Zivilisation zu geben, nämlich dann, wenn Mahmoody verwestlichten Iranern begegnet. Der Rest scheint verloren zu sein in dieser "vergleichsweise unterprivilegierten Kultur".
1987 veröffentlicht Mahmoody ihre Erinnerungen. Binnen weniger Wochen wird das Buch ein Bestseller, ist sogar für den Pulitzer Preis nominiert. Betty Mahmoody wird von Talkshow zu Talkshow gereicht und als wehrhafte Mutter Courage gefeiert. Auch Hollywood klopft an. 1991 wird "Nicht ohne meine Tochter" verfilmt. Millionen weltweit wollen sehen, wie sich die Schauspielerin Sally Field von ihrem Kollegen Alfred Molina für die Leinwand grün und blau schlagen lässt. Die Geschichte trifft einen Nerv: Hier die verratene Amerikanerin, dort der unberechenbare Iraner, der sie demütigt - und das in einem Land, das jenseits von Gut und Böse zu sein scheint.
Die Autorin stellt ihre Geschichte gerne als trauriges Familiendrama dar. Viele lesen das Buch hingegen als Kampfschrift. Hier der zivilisierte Westen, dort der barbarische Osten, Kalte- Kriegs-Rhetorik vom Feinsten, häppchengerecht dosiert für die Massen. Kein sperriges Policy Memo, keine Analyse differenzierter Nahostexperten, nur pure Emo- tion, Pathos und Patriotismus. Es ist Weltpolitik für das einfache Volk aus dem Mund einer einfachen Amerikanerin aus Michigan.
Das Buch einer Ära
Für die Iraner ist das Buch ein Affront und Mahmoody eine weitere Spielfigur auf dem Schachbrett amerikanischer Interventionspolitik. Dass die iranischen Szenen von "Nicht ohne meine Tochter" ausgerechnet in Israel - "dem kleinen Satan" - gedreht wurden, bewies Teheran nur einmal mehr, dass es sich bei Mahmoodys Werk um ein weiteres Instrument westlicher Meuchelpropaganda gegen den Iran handelt.
"Viele haben kritisiert, dass meine Mutter die Iraner in ein schlechtes Licht gerückt hat. Doch wenn irgendwer das getan hat, dann war es mein Vater", sagt Mahtob Mahmoody. Ruhig spricht die 36-Jährige am Telefon. Es ist 10 Uhr morgens in ihrer Heimat Michigan. Die studierte Psychologin bekommt derzeit viele Anfragen. Immer wieder soll sie sich, ihre Mutter und ihr Buch erklären. "Keine von uns beiden denkt, dass sich alle Iraner so schlecht verhalten, wie es mein Vater getan hat. Schließlich waren es auch iranische Männer, die uns bei der Flucht geholfen haben. Ohne sie hätten wir das nicht geschafft", sagt sie.
Das Buch ihrer Mutter spiegelt eine bestimmte Ära wider, eine, in der die Fronten zwischen den beiden Ländern härter waren denn je. Heute hat sich das Verhältnis verändert - man möchte fast vorsichtig sagen: nach dem provisorischen Atomabkommen Ende März, verbessert. Und was hält Mahtob Mahmoody davon? Geht sie versöhnlicher mit dem Land ihres Vaters in Gericht, als ihre Mutter? Spiegeln ihre Memoiren diese neue Ära?
Nicht wirklich. "Nach meinem ersten Eindruck war der Iran nicht nur furchteinflößend und voll unangenehmer Gerüche, sondern auch laut", schreibt sie in ihrer nunmehrigen Autobiografie. Schmutzig, grau und öd hat sie als kleines Mädchen den Iran wahrgenommen, wo ihr Vater sich in ein Ungeheuer verwandelte und man von ihr verlangte, die Heimat ihrer Mutter zu hassen. Wütend schreibt sie über ihre Schulzeit, als sie jeden Tag auf eine am Boden gemalte US--Flagge steigen und sie am besten bespucken sollte, bevor sie in Klassenzimmer trat, um mit den anderen Kindern in den Chor "Nieder mit Amerika" einzustimmen. Auch sie hat all diese Episoden der Demütigungen gespeichert. Auch sie hinterfragt den Hass nicht. Auch sie setzt die Ereignisse in keinen historischen Kontext.
Mathob Mahmoody hält sich aus der Politik heraus. Der Großteil ihrer Memoiren konzentriert sich auf die Zeit nach der Flucht aus dem Iran: wie sehr sie sich gefürchtet hat, dass ihr Vater sie entführt und ihre Mutter tötet, wie er so oft angekündigt hatte. Es ist eine Zeit der Paranoia, mit Bodyguards, Notfallknöpfen um den Hals und einer versteckten Pistole in der Bonbonschüssel für Halloweengäste. Selbst während ihres Studiums fühlt sich die junge Frau verfolgt, besonders, als ein finnischer Dokumentarfilmer sie kontaktiert, um ein Treffen zwischen Vater und Tochter aufzuzeichnen. Mahtob Mahmoody weigert sich. "Ich habe meinem Vater verziehen, aber das heißt nicht, dass ich mich seinen Übergriffen aussetzen muss", rechtfertigt sie ihre Entscheidung im Buch.
Die Dokumentation erscheint trotzdem. In "Ohne meine Tochter" gibt sich Sayed Bozorg Mahmoody als altruistischer Arzt, der nach der Islamischen Revolution seinen Landsleuten im Krieg zur Seite stehen wollte. Seine Frau bezeichnet er als psychotische Kindesentführerin.
Keine Aussprache
Im Iran kennt man die Geschichte der Familie Mahmoody. Gelegentlich wird sie hervorgegraben, wie etwa am Vatertag vor einigen Jahren, als Sayed Bozorg Mahmoody in eine Sendung des iranischen Fernsehens eingeladen wurde. Zu sehen ist ein weinender alter Mann, der seine Tochter darum bittet, ihn doch einmal anzurufen. Auch die Moderatorin schließt sich mit Tränen in den Augen seinem Appell an. "Mahtob, Liebes, melde dich doch", wimmert sie.
Fast so, als würden Vater und Tochter für mehr stehen, als nur für eine zerrüttete Familie. Als könnte ihr Zusammentreffen die jahrzehntelange Feindschaft, das Misstrauen und den Verrat zwischen den zwei Nationen kitten.
Sayed Bozorg Mahmoody starb 2009. Zu einer Aussprache zwischen ihm und seiner Tochter ist es nie gekommen. "Ich bereue es nicht", sagt Mahtob Mahmoody. Versöhnlich klingt das nicht. Sie hat sich auf ihre Weise mit den Dingen arrangiert. Früher verabscheute sie ihr iranisches Erbe und weigerte sich Persisch, die "Sprache Khomeinis", wie sie es als Kind nannte, zu sprechen. Ihre Mutter hat das geändert. Sie spielte ihr iranische Hörkassetten vor und kochte ihr persische Eintöpfe. Heute steht Mahtob Mahmoody zu diesem Erbe. Würde sie sich noch einmal in die Heimat ihres Vaters trauen? Dem Iran eine zweite Chance geben? Als fromme Christin hält sie es für zu gefährlich. Glaubt sie an die Detente zwischen dem Westen und dem Iran, wie sie seit Ende März vorsichtig gefeiert wird? Mahmoody seufzt: "Ich hoffe, dass sich die Dinge verbessern", sagt sie. "Aber ich traue dem allen nicht."
Am Ende ist die Geschichte der Mahmoodys vielleicht doch nur ein trauriges Familiendrama - und steht genau dort, wo es hingehört: im Buchregal neben den Lebensgeschichten gelangweilter Europäerinnen in den bunten Wickeltüchern.
Mahtob Mahmoody: Endlich frei. Aus dem Amerikanischen von Heide Horn und Rita Seuß. Verlag Bastei Lübbe, Köln 2015, 416 Seiten, 19,99 Euro.Solmaz Khorsand, geboren 1985, ist seit 2013 Redakteurin bei der "Wiener Zeitung" und arbeitet als Magazinjournalistin.