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Das makroökonomische Rätsel

Von Florian Ielpo

Gastkommentare
Florian Ielpo ist Head of Macro und Multi-Asset bei Lombard Odier Investment Managers (LOIM).
© LOIM

Warum wächst der Dienstleistungssektor trotz sinkender Industrienachfrage?


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Anleihen, Kreditspreads und Aktien sind sich einig: Die zunehmenden Risiken einer Bankenkrise liegen hinter uns. Diese Neubewertung ist bei den Kreditspreads am eindrucksvollsten, während sie bei den Anleihen eher verhalten ausfällt. Die sinkenden Preise für systemische Risiken konzentrierten sich auf europäische Vermögenswerte: Die Zinssätze stiegen in Europa stärker als in den USA, und europäische Aktien legten stärker zu als jene in den USA - ein interessantes Zeichen dafür, wo sich dieses Risiko in den Augen der Märkte konzentrierte. Das makroökonomische Rätsel bleibt bestehen: Branchenumfragen zeigen einen volatilen Rückgang, aber die Dienstleistungsbranche schneidet bemerkenswert gut ab. Dies gilt für die USA, die Eurozone und jetzt auch für China.

Die makroökonomischen Nachrichten stellen die Anleger Woche für Woche immer wieder vor das gleiche Rätsel: Die makroökonomischen Bedingungen zeigen gespaltene Anzeichen einer Verschlechterung, und sowohl Bullen als auch Bären können darin eine gute Rechtfertigung für ihre Positionierung finden. Der Unterschied zwischen Industrie- und Dienstleistungsumfragen bleibt bestehen. Auch, weil das Verbrauchervertrauen steigt. Der Rückgang der Ölpreise in den vergangenen Monaten und die niedrige Arbeitslosenquote sind wahrscheinlich zwei wichtige Faktoren, die dazu beitragen, dass die US-Verbraucher in einer Zeit höherer Inflation und restriktiverer Kreditbedingungen wieder optimistisch sind. Zufriedene Verbraucher und besorgte Industrieunternehmen: Was von beidem ist richtig?

Die Situation in der Eurozone ist nicht anders, denn der europäische Einkaufsmanagerindex hat sich in jüngster Zeit verbessert, während die Indikatoren der EU-Kommission rückläufig sind. Die Inflationsrate in der Eurozone ist allerdings zurückgegangen: Die Gesamtinflation lag zuletzt bei 6,9 Prozent gegenüber den erwarteten 7,1 Prozent und 8,5 Prozent im Vormonat. Die Kerninflation ist gegenüber dem Vormonat leicht angestiegen (5,7 Prozent gegenüber 5,6 Prozent).

China bleibt übrigens von dem derzeitigen makroökonomischen Rätsel, das sich zwischen Industrie und Dienstleistungen auftut, nicht verschont: Die jüngste Veröffentlichung der chinesischen Einkaufsmanagerindizes zeigt in etwa die gleiche Situation wie anderswo. Der PMI für die Industrie ging von 52,6 auf 51,9 Punkte zurück, während der PMI für den Dienstleistungssektor von 56,3 auf 58,2 Punkte anstieg. Doch wie lange kann der Dienstleistungssektor mit einer sich abschwächenden Industrie mithalten? Diese komplexe Frage sollte den Anlegern die Antwort auf ihre Zweifel an der Positionierung geben - historisch gesehen, nicht lange.