Zum Hauptinhalt springen

Das Maß des Krieges

Von Christina Böck

Kommentare

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der Inhalt der Liste ist eigentlich keine Überraschung. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung freilich schon. Am 6. Jänner hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj einen Erlass unterzeichnet, der Sanktionen gegen 119 Russen und Ukrainer vorsieht. Sie sind betroffen von Einreiseverboten und Vermögenssperren. Auf dieser Liste steht auch die österreichisch-russische Opernsängerin Anna Netrebko. Man kennt die Geschichte: Netrebko, von Putin mit einer Geburtstagsfeier geehrt, hatte sich mit der Fahne der prorussischen Separatisten im Donbas fotografieren lassen. Die Sängerin ließ sich ein bisschen viel Zeit, sprach sich aber dann doch - im Unterschied zu anderen Putin-treuen Künstlern - gegen den Krieg aus. Das ist zehn Monate her, Nicht-Kriegsparteien haben schon längst wieder Gras über die Sache wachsen lassen. Nicht die Ukraine. Sie hat erst jetzt formal reagiert auf Netrebkos Verhalten, und nun steht sie auf einer Liste zusammen mit Putins Chefideologen Alexander Dugin, der schon ein bisschen ein anderes Kaliber ist. Und mit Polina Gagarina, die beim Song Contest in Wien von Russland entsandt wurde und im März bei einer Feier zur völkerrechtswidrigen Aneignung der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland gesungen hat - von einem Statement, wie Netrebko es gemacht hat, keine Spur. Es wird also schon ein wenig mit zweierlei Maß gemessen. Aber andererseits: Hat nicht ein Land, das so überfallen wurde wie die Ukraine, jedes Recht auf Festsetzung seines eigenen Maßes?