Innenpolitischer Zwist legt Gespräche um Hilfsgelder lahm. | Die Warnrufe an Lettland wurden jahrelang ignoriert. | Riga/Wien. Die bunten Jugendstil-Häuser in Rigas Altstadt sind fein herausgeputzt. Elegant gekleidete Geschäftsleute und teure Autos zeugen von acht Boomjahren. Doch hinter der Fassade bröckelt es gewaltig: "Im Fall der baltischen Länder platzte eine Kredit-, Immobilien- und Konsumblase gleichzeitig", analysiert der Baltikum-Experte Sebastian Leitner vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW).
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Das Wirtschaftswunder auf Pump war getrieben durch den Kapitalzufluss ausländischer Firmen, die in Dienstleistungen wie Banken, Handel und Immobilien investierten. Der lettische Denkfehler: "Durch die Direktinvestitionen schufen die Letten zwar Wohlstand im Land, doch keine Exportkapazitäten, um die Gelder wieder zurückzahlen zu können", so Leitner. Das Leistungsbilanzdefizit stieg auf 30 Prozent. Appelle des Internationalen Währungsfonds (IWF) von 2004, das defizitäre Haushaltsloch mit Reformen zu decken, blieben unerhört - bis Herbst 2008.
Parex: Schuld am Ruin
Die Regierung in Riga musste vergangenen November die zweitgrößte Bank Parex notverstaatlichen, um das lettische Bankensystem zu stützen. Die auferlegte Schuldenlast trieb den Staat an den Rand eines Bankrotts.
Bereits Ende 2008 bekam man deshalb von der EU, dem IWF und anderen Geldgebern einen 7,5 Milliarden Euro schweren Kredit in Aussicht gestellt. Fast die ganze erste Milliarde, die bisher überwiesen wurde, floss allerdings in die Sanierung der Parex-Bank.
Partei blockiert Einigung
Die Freigabe weiterer Kredit-Tranchen zieht sich seit Wochen und ist auf des Messers Schneide. Zuerst hieß es in lettischen Medien: Die Verhandlungen um die Mittel könnten wegen der Forderung des IWF zur Erhöhung der Mehrwertsteuer und einer weiteren Kürzung von Pensionen scheitern.
Am Montag erhielt die wichtige Einigung mit dem IWF dann einen innenpolitischen Dämpfer: Die stärkste Koalitionspartei in der Mitte-Rechts-Koalition, die "Volkspartei" (TP), entschied überraschend, das Abkommen mit dem IWF doch nicht zu unterzeichnen. Als Grund für den Widerstand gab die Partei die fehlende Einbindung von Öffentlichkeit und Sozialpartnern an.
Dabei stand die Regierung bis zuletzt gemeinsam hinter dem rigiden Sparkurs: Schon zu Jahresbeginn wurden alle Staatsgehälter und die meisten Pensionen um 20 Prozent gekürzt. Die öffentlichen Stellen (zum Großteil Lehrer) sollen binnen drei Jahren um rund die Hälfte gekürzt werden, die Mehrzahl der Krankenhäuser muss zusperren.
Das Existenzminimum wurde auf 200 Euro im Monat gesenkt und für Eltern das Kindergeld für das laufende Jahr gestrichen.
Das trifft jene besonders hart, die sich ebenso wie der Staat in den Boom-Jahren verschuldet haben: Jeder fünfte Lette steht bei schwedischen Banken in der Kreide.
Die noch vor wenigen Jahren als Musterland gefeierte Region rechnet für 2009 nun mit einem Schrumpfen der Wirtschaft um 20 Prozent und einer Arbeitslosigkeit von rund 18 Prozent. Um den beispiellosen Absturz einigermaßen aufzufangen, will sich Lettland weiter verschulden; 11,6 Prozent des BIP soll das Defizit heuer betragen.
Die EU drängt allerdings darauf, dass es bis 2012 wieder unter drei Prozent sinkt. Nur unter dieser Bedingung will die Kommission eine zweite Hilfstranche in Höhe von 1,2 Milliarden Euro freigeben. Zudem hängt daran auch der ersehnte Beitritt zur Eurozone. Die Beitritts-Pläne mussten erst im Juli von 2013 auf 2014 verschoben werden.
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