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In Österreich kann sich derzeit niemand Neuwahlen leisten: die Steuerzahler nicht und die beiden Regierungsparteien schon gar nicht. Eine Analyse.
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Wien. Über manche Dinge sollte man in der Politik besser nicht reden. Es sei denn, man strebt sie tatsächlich an. Aber auch da ist es in den allermeisten Fällen zielführender, sie einfach zu tun, als lange darüber zu schwadronieren.
Die Drohung mit Neuwahlen ist etwa ein solcher Fall. Das N-Wort ist in Österreich noch immer und zu jeder Zeit verlässlich für mediale Aufgeregtheit gut. Sachlich betrachtet ist das nicht einmal falsch; zumindest, wenn die Ansage aus dem Mund einer Regierungspartei kommt. Man sollte meinen, das hat Gewicht.
Hat es aber nicht. Die Sache ist relativ simpel: Neuwahlen sind für diese Regierung keine Option. Ganz genau so wenig übrigens wie ein Scheitern der Steuerreform (bei welcher sich die Regierung, wenn schon nicht inhaltlich, so doch immerhin prozedural geeinigt hat). Um das zu erkennen, genügt eigentlich ein Blick auf die politische Gesamtsituation des Landes.
Nicht-Regieren kostet Geld, sehr viel Geld sogar
Soeben hat Österreich die Marke von 400.000 Arbeitslosen überschritten und ein Ende der Misere ist nicht abzusehen (siehe dazu Bericht auf Seite 10). Bei der Aufarbeitung der Hypo-Pleite kommt die Regierung nur im Schritttempo voran; soeben erst musste der bereits als besiegelt geltende Verkaufsprozess der Balkanbanken neu geöffnet werden; Zeit bedeutet hier Geld, werden die Institute doch quasi täglich weniger wert; zudem pocht die EU auf einen Verkauf bis Mitte 2015. Und dann hängt noch das Damoklesschwert eines milliardenschweren Prozesses mit dem ehemaligen Eigentümer der Hypo Alpe Adria, der ebenfalls staatlichen BayernLB, über der Koalition. Die Bayern pochen auf Rückzahlung von 2,4 Milliarden Euro samt Zinsen, die sie einst in die Hypo eingeschossen haben. Derzeit beharren beide Streitparteien auf ihren Rechtsstandpunkten. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Österreich hier zum Nulltarif aus der Bredouille kommt. Und, diese These sei gewagt: Je weniger Regierung wir haben, desto teurer wird die Causa Hypo für uns Steuerzahler.
Schließlich lässt Brüssel mit seiner Forderung nach Einhaltung des vereinbarten Budgetpfads nicht locker. Das strukturelle Defizit 2015 sollte das EU-Ziel von höchstens 0,45 Prozent nicht überschreiten, tatsächlich strebt Wien 0,7 Prozent an. Zudem steigt die Neuverschuldung (nach Maastricht) von 1,8 Prozent stärker an als das Wachstum des potenziellen Inlandsprodukts. Und selbstredend ist auch die Staatsverschuldung von 87 Prozent deutlicher höher als die im EU-Stabilitätspakt vorgesehenen 60 Prozent.
Schon angesichts dieser To-do-Liste für die Bundesregierung - es gibt für jedes einzelne Problem eine Vielzahl von politischen Lösungsvorschlägen - ist es einigermaßen mutig, seitens der Regierungsparteien auch nur an vorzeitige Neuwahlen zu denken. Darüber hinaus hat Österreich aber auch noch eine übergeordnete Verantwortung: Das Land ist - ungeachtet aller Mängel und Defizite - nach wie vor einer der wenigen wirklichen Stabilitätsfaktoren in der Eurozone. Die Gefahren für deren Zusammenhalt sind längst nicht vom Tisch. In so einer Situation ohne wirkliche Not und drei Jahre vor der Zeit Neuwahlen anzusetzen, ist schlichtweg verantwortungslos, auch aus gesamteuropäischer Perspektive (und nein, das ist kein grundsätzliches Argument gegen demokratische Basisentscheidungen).
Neuwahlen können die Machtfrage nicht klären
Eine Regierungspartei, ganz egal welche, die angesichts einer solchen Problemhäufung mit Neuwahlen kalkuliert (ob als Bluff oder wirkliches Druckmittel ist da auch schon egal), wird deshalb im selbst gesäten Sturm politischer Entrüstung untergehen. Und sie wird den Koalitionspartner unweigerlich mit ins politische Ausgedinge ziehen. Die Floskel von SPÖ und ÖVP, die zum gemeinsamen Regierungserfolg verdammt sind, geistert zwar bereits seit mindestens zwei Jahrzehnten durch die Leitartikel; dennoch spricht viel dafür, dass sie heute wahrer denn je ist. Neuwahlen wären für SPÖ und ÖVP das ultimative Eingeständnis des eigenen Scheiterns und würden wohl unweigerlich die FPÖ zur stärksten Partei nach oben spülen. Die Freiheitlichen müssten dazu nicht einmal viel beitragen. Noch wahrscheinlicher: Je unauffälliger sich die Blauen verhalten, desto sicherer würden sie wohl zur stärksten Kraft. Und dann?
Neuwahlen wären allenfalls dann ein legitimes Mittel zum Zweck, unklare Machverhältnisse abschließend zu klären. Genau dies aber wird - nach Maßgabe aller Wahrscheinlichkeiten - nicht geschehen. Die politische Stimmungslage ist hochgradig volatil, und das gilt auch für alle rechnerisch möglichen Koalitionsvarianten. Auch eine neue Regierung, nimmt man einen Durchschnitt der jüngst publizierten Sonntagsfragen zum Maßstab, müsste politisch gegensätzliche Kräfte integrieren (siehe nebenstehende Grafik). Eben genau so wie jetzt schon Rot-Schwarz.
Die Regierung hat so gesehen gar keine Alternative zum Weiterarbeiten. Es ist anzunehmen, dass die maßgeblichen Leute in beiden Parteien das auch selbst wissen. Jetzt müssten sie diese Erkenntnis nur auch noch an alle wahlkämpfenden Landeshauptleute weiterleiten. Vielleicht hilft ja auch der dezente Hinweis, dass sich momentan nicht einmal SPÖ und ÖVP selbst Neuwahlen leisten können. In den Parteikassen herrscht ebenso Ebbe wie in den Staatskassen.