Nach Missernten sind in der Sahelzone elf Millionen Menschen bedroht.| Diesmal wollen die Helfer aber frühzeitig genug reagieren.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Gaet Teidouma. In Gaet Teidouma, einem Dorf mehr als 800 Kilometer östlich von Mauretaniens Hauptstadt Nouakchott, sitzt Kertouma Mint Sedatty im klapprigen Zelt. Verloren starrt sie über die Landschaft aus Sand und Stein. Ihr acht Monate alter Sohn Mohammed saugt an ihrer flachen Brust. Doch Sedatty hat kaum Milch, um ihr Kind zu füttern. "Wir haben nichts mehr zu essen. Als im Juli der Regen nicht kam, wuchs unsere Hirse nicht. Unsere drei Kühe finden nichts zu fressen, geben keine Milch mehr. Meine Kinder haben Hunger", klagt die 39-jährige Mutter von sieben Kindern.
Hilfsorganisationen warnen, dass in der Sahelzone bald elf Millionen weitere Menschen Sedattys Schicksal teilen und hungern werden. "In manchen Regionen leben schon 50 Prozent an der Kippe", sagt Martina Schloffer, Leiterin der internationalen Katastrophenhilfe beim österreichischen Roten Kreuz. Für die Bevölkerung der öden Zone südlich der Sahara hat damit ein Wettlauf gegen die Zeit begonnen. Und die Helfer wollen dabei offensichtlich die Fehler vermeiden, die man am Horn von Afrika gemacht hat, als sich die internationale Hilfskarawane erst mit gehöriger Zeitverzögerung in Bewegung gesetzt hat. "Wenn wir nicht schnell handeln, werden binnen weniger Monate Menschen anfangen zu hungern", sagt Kristalina Georgieva, die EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe, die vor kurzem den Niger und den Tschad besucht hat.
Wachsende Gebermüdigkeit
Bereits sieben der acht Regierungen in der Sahelzone haben um Hilfe gebeten. Nur der Senegal hält sich zurück, hier gib es Ende des Monats Wahlen. "Die Dürre ist extrem. Wir brauchen dringende Eingriffe, um eine Krise zu verhindern", sagt Ahmed Weddady, der Direktor des Wasserministeriums in Mauretanien. Das Land mit den geringsten Trinkwasservorräten der Welt hat die größten Ernteausfälle der Region erlitten.
Doch die Finanzierungslücke ist erheblich: Nicht einmal die Hälfte der 552 Millionen Euro, die allein von der UNO benötigt werden, sind zugesagt worden. Andere Hilfsorganisationen klagen ebenfalls über "Gebermüdigkeit". Vier Millionen Euro hat etwa das Rote Kreuz erbeten, eingetroffen sind davon erst 20 Prozent.
Je länger die Geber abwarten, desto mehr Menschenleben setzten sie aufs Spiel und desto teurer werde es zu helfen, sagt José Luis Fernandez, Nothilfekoordinator der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO. "Das ist die Lektion, die wir in Somalia gelernt haben. Wir müssen sofort agieren." Beispiele für die Effizienz der frühen Hilfe gibt es viele: Die Behandlung eines akut mangelernährten Kindes kostet täglich 80 Dollar, aber nur ein Dollar pro Tag ist nötig, um Mangelernährung zu verhindern. Und Nahrungsmittel über eine Luftbrücke einzufliegen ist zehn bis zwanzig Mal so teuer wie der Transport auf dem Landweg.
Die Sahel-Region leidet seit Jahrzehnten unter zyklischen Dürren, die zu immer geringerer Widerstandskraft in der Bevölkerung geführt haben. Laut einer im Dezember 2011 veröffentlichten Studie der Universität Berkeley haben sich die Regenfälle in der Region seit 1954 halbiert, während die Temperatur um 0,8 Grad gestiegen ist. Neben der Wüste ist allerdings auch die Bevölkerung gewachsen. Der Wettbewerb um die knappen Ressourcen hat sich dementsprechend intensiviert, sogar in einem "normalen" Jahr sind die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren chronisch mangelernährt. Bis zum Hungertod fehlt da oft nur ein kleiner Schritt.
Aktuell ist man von einem "normalen Jahr" allerdings weit entfernt. Für die UNO zählt die derzeitige Dürre zu den schlimmsten in der Region seit Jahrzehnten. Die Nahrungsmittelpreise haben sich verdoppelt oder verdreifacht. Schon jetzt sind die Straßen mit Kuhkadavern gesäumt. Schafe und Ziegen werden folgen, zuletzt die Kamele.
"Langfristige Instabilität"
Nothilfe kann jedoch nur kurzfristig die Probleme lindern. Um die Widerstandsfähigkeit zu stärken, braucht es langfristige Programme. "Wir müssen die Ursachen angehen. Sonst wird es jedes Jahr eine neue Krise geben", sagt Johannes Schoors, Direktor von Care in Niger. Doch auch wenn die Hilfsorganisationen mittlerweile verstärkt auf langfristige und zum Teil neue Maßnahmen wie Tröpfchenbewässerung, Kleinstglashäuser oder die Futterverteilung für Weidetiere setzen, sind sie machtlos gegen die politischen Rahmenbedingungen. Mit dem Sturz des Gaddafi-Regimes in Libyen haben 250.000 Wanderarbeiter in der Sahelzone ihre Arbeit und damit die Möglichkeit, ihre Familien adäquat zu ernähren, verloren. Im Norden Malis brachen Anfang des Jahres Kämpfe zwischen der Armee und nomadischen Tuareg-Rebellen aus, der ohnehin schon unter Hunger leidende Süden musste nach der Massenflucht zehntausende Menschen zusätzlich versorgen. "Wir müssen damit rechnen, dass die Region von langfristiger Instabilität heimgesucht wird", sagt Felicité Tchibindat, Unicef-Ernährungskoordinatorin für West- und Zentralafrika. Auch Kertouma Mint Sedatty in ihrem klapprigen Zelt macht sich Sorgen. "Wir erwarten ein sehr schweres Jahr", sagt sie. "Die meisten Menschen werden es nicht überleben."
Spenden: Rotes Kreuz
PSK 2.345.000, BLZ: 60.000
Kennwort: Dürre in Afrika