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Das "Nadelöhr Rom" gehört geöffnet

Von Heiner Boberski

Politik

Christian Friesl unterscheidet bei den 2004 auf über 50.000 angestiegenen Austritten aus der Katholischen Kirche klar zwei unterschiedliche Ebenen: "Die eine Hälfte dieser Austritte gibt es ständig, sie ist auf den gesellschaftlichen Wandel zurückzuführen. Die andere Hälfte ist Folge innerkirchlicher Krisen."


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Er ist habilitierter Theologe und gehört dem Wiener Institut für Pastoraltheologie an. Seit Oktober 2001 ist Christian Friesl freigestellt und leitet den Bereich Gesellschaftspolitik der Österreichischen Industriellenvereinigung. Der frühere Präsident der Katholischen Aktion Österreichs (1997-2003) und Vorsitzende des Österreichischen Instituts für Jugendforschung (1988 bis 1997) kennt die Probleme der Katholischen Kirche, vor allem auch jene mit der Generation von morgen.

Für den Theologen handelt es sich beim regelmäßigen jährlichen Aderlass der Kirche von etwa 25.000 Personen um "Spätfolgen der Religionsfreiheit". In Amerika habe man schon vor 200 Jahren begonnen, mit Religionsfreiheit umzugehen, in unseren Breiten sei man sich dieser Entwicklung erst in den letzten 50 Jahren richtig bewusst geworden. Der Rückgang an Mitgliedern werde noch weitergehen und stelle eine Normalisierung dar: Die Kirchenmitgliedschaft befand sich in Österreich auf einem sehr hohen Niveau, nun sei man in einen "Wettbewerb der Religionsgemeinschaften" eingetreten.

Man könne auch diesem Rückgang begegnen, aber dabei stelle sich die schwierig zu beantwortende Frage: "Wie passen heute gesellschaftliche und kirchliche Kultur zusammen?" Man müsste "stärker in eine Dialogtheologie einsteigen, Verkündigung und Pastoral auf eine Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ausrichten". Dabei handle es sich vor allem um ein europäisches Problem. Das Christentum sei eine hochkomplexe Religion, dessen Inhalte - etwa Dreifaltigkeit, Gottesfrage - "schwer zu transportieren sind". Diese Inhalte müsste man sehr gut und zeitgemäß erklären - "durch Menschen, die über ihren Glauben gut reden können - aber heute redet man über andere Dinge, etwa Geld, vielleicht leichter".

Christian Friesl stellt die "territoriale", auf Pfarrgemeinden basierende Seelsorge in Frage und befürwortet für die Zukunft eher ein "kategoriales" Modell, wie es die Katholische Aktion seit jeher praktiziert: Angehörige diverser Gruppen - etwa Frauen, Männer, Senioren, Jugend, Arbeiter - werden gezielt angesprochen: "Heute basteln sich die Leute aus verschiedenen Ecken ihre Weltanschauung zusammen. Der individualistische Mensch braucht eine sehr adressatenorientierte Ansprache."

Dass das funktionieren könne, zeige die - verglichen mit den Austritten - geringe, aber im Lauf der Jahre relativ stabile oder sogar leicht steigende Zahl von Eintritten in die Kirche: "Das sind Menschen, in deren Leben Bewegung gekommen ist, die in der Kirche Antwort auf ihre Fragen finden und Befreiung erleben." Die neue Religionsfreiheit bedeute auch, dass jene Menschen, die in der Kirche bleiben, das bewusst tun und sich dabei oft viel intensiver engagieren als in früheren Zeiten.

Der 2004 besonders hoch ausgefallene zweite Anteil der Kirchenaustritte beruht für Friesl auf jenen "Schwächen, die große Organisationen haben", auch auf Kommunikationsdefiziten innerhalb der Hierarchie und gegenüber der Öffentlichkeit. Dass es mit Personen wie Bischof Kurt Krenn Schwierigkeiten geben würde, sei absehbar gewesen. Konsequenzen müssten eine sorgfältige Auswahl der Führungspersönlichkeiten und zeitgemäße Kommunikation mit der Öffentlichkeit sein: "Ein Positivbeispiel ist der neue Tiroler Bischof, Manfred Scheuer, dort fiel auch der Anstieg der Austritte deutlich niedriger aus." Man dürfe nicht vergessen, dass 90 Prozent der Menschen Kirche nur via Medien wahrnehmen.

Spielt die Kirche gesellschaftspolitisch noch eine große Rolle? Friesl bedauert, dass sich im Spannungsfeld Wirtschaft und Kirche nur wenige Einzelpersonen engagieren. Das "Sozialwort der Kirchen" verdiene Anerkennung, was die Kirche an Bildern für die Zukunft entwerfe, sei wegweisend, bleibe aber oft Papier. "Mir fehlt, dass die Kirche ihre Positionen beharrlich in der Öffentlichkeit vertritt." Auch wenn dabei immer wieder Konfliktthemen mit der Industrie und der Wirtschaft zur Sprache kommen, seien solche Impulse wichtig: "Das würde uns weiterbringen".

Was die Zukunft anlangt, vermisst Christian Friesl nicht nur die heute Jugendlichen, sondern schon deren Eltern in der Kirche. Und Jugendliche seien "noch eine Spur pluralistischer und kritischer als Erwachsene". Von der Kirche modern gestaltete Messen und Events für die Jugend, die stark die emotionale Ebene ansprechen, sieht Friesl als einen Weg zur nächsten Generation. Das Erleben einer großen Gemeinschaft sei fürm Jugendliche auf jeden Fall attraktiv. Dieses Phänomen zeige sich bei großen Gottesdiensten, besonders auch bei den katholischen Weltjugendtreffen, das nächste findet im Sommer 2005 in Köln statt.

Scheitert nicht vieles am römischen Zentralismus? Friesl hofft, die Kirche werde von anderen Großorganisationen lernen und mehr Subsidiarität, mehr Entscheidungen auf regionaler Ebene, zulassen: "Das Nadelöhr Rom sollte geöffnet werden."