Mit der Abschaffung der Autonomie des Kosovo (1989) startete Slobodan Milosevic einen serbisch-nationalistischen Kurs, der zur Unterdrückung des albanischen Mehrheitsvolkes durch die serbische | Minderheit führte. Die Albaner reagierten zunächst mit gewaltlosem Widerstand. Erst die Enttäuschung über die ausgebliebene westliche Hilfe führte zum gewaltsamen Widerstand der UCK. Die Antwort der | Serben war eine brutale Repression durch ihre Polizei- und Militärapparate. Morde und Fluchtbewegungen · nicht nur von Serben verübt und instrumentalisiert · waren die Folge und der Beginn einer | weiteren Spirale der Gewalt.
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Nachdem sich USA und Rußland, EU und NATO sowie OSZE in diesen Konflikt eingeschaltet hatten, stimmte Milosevic schließlich zu, daß OSZE-Beobachter im Kosovo stationiert werden. Er weigerte sich
jedoch, den von den Beauftragten der EU, USA und Rußland ausgearbeiteten Vertrag von Rambouillet bzw. Paris zuzustimmen, der die Stationierung von NATO-Truppen im Kosovo vorsah. Hierauf zogen sich
die OSZE-Beobachter und die internationalen Hilfsorganisationen zurück und die NATO gab den Auftrag zur Bombardierung, die sie während der Verhandlungen immer wieder angedroht hatte.
Das nach außen erklärte Ziel dieses militärischen Angriffes war es, Milosevic zum Unterschreiben des Friedensübereinkommens zu zwingen und eine drohende humanitäre Katastrophe im Kosovo zu
verhindern. Tatsächlich konnte das Bombardement bisher weder Milosevic zum Nachgeben zwingen, noch die humanitäre Katastrophe verhindern. Im Gegenteil, sie trugen bei zur:
Vertiefung der Gegensätze zwischen den Konfliktparteien
Stärkung militanter Kräfte;
Schwächung der demokratischen Opposition in Serbien;
Verschlechterung der Lage der unschuldigen Zivilbevölkerung;
Schwächung der Vereinten Nationen und der Bedeutung der Konfliktlösungsmechanismen internationaler staatlicher Institutionen;
Verschlechterung der Beziehungen zwischen NATO-Staaten und Rußland mit möglicherweise negativen Effekten für die Europäische Einigung.
NATO-Strategie gescheitert
Das Scheitern der Friedensverhandlungen muß vor dem Hintergrund der strategischen Ziele der USA bzw. der NATO betrachtet werden. Das Ziel war nicht die Ausweitung und Unterstützung der OSZE-
Mission im Kosovo, sondern die Stationierung von Truppen, um sich als einzig legitimer Friedensstifter in der neuen NATO-Weltordnung zu profilieren. Damit sollte gleichzeitig der endgültige Übergang
der NATO von einem Verteidigungs- zu einem militärischen Interventionsbündnis "out of area" forciert und dokumentiert werden.
Der Friedensvertrag, der den Konfliktparteien vorgelegt wurde, enthielt daher einen politischen und einen militärischen Teil, der dieser neuen NATO-Strategie Rechnung tragen sollte. Politisch sollten
die Albaner, für die nur eine Unabhängigkeit in Frage kam, zur Autonomie, während die Serben im militärischen Teil zur Stationierung der NATO-Truppen im Kosovo gezwungen werden sollten.
Durch intensiven Druck und Zusagen gelang es, die Albaner zur Unterfertigung des Vertrages von Rambouillet zu bewegen, während mit der ständigen Drohung von Bomben versucht wurde, die Serben
insbesondere zur Unterfertigung des militärischen Teils des Friedensübereinkommens zu zwingen.
Diese Bombendrohung erwies sich jedoch vor allem für die NATO nachteilig, da hierdurch Sachzwänge geschaffen wurden, von denen es für die NATO kein Zurück gab, während es der serbischen Führung die
Möglichkeit gab, sich auf die Bombendrohung einzustellen und die Vertreibung der albanischen Bevölkerung vorzubereiten, nachdem sie die Unvermeidbarkeit des Bombardements erkannte.
Im Windschatten des NATO-Bombardements begann die serbische Führung eine offensive Unterdrückungs- und Vertreibungspolitik, die zur endgültigen Katastrophe für die albanische Bevölkerung führen
mußte.
Die Legitimation der NATO-Kriegsführung bestand darin, daß das Mittel · Bombardierung und Krieg · moralisch gerechtfertigt sei, um eine drohende humanitäre Katastrophe abzuwenden. Dies erscheint
nunmehr zweifelhaft, da das Bombardement die Vertreibungen nicht stoppen konnte, sondern Gewalt, Willkür und Vertreibung in dramatischer Weise zunahmen. Auch wenn man davon ausgeht, daß Milosevic den
Plan zur Vertreibung der Albaner bereits vorher hatte, so haben erst der Abzug der OSZE-Beobachter und die Bombardierung Jugoslawiens die Voraussetzungen und den Vorwand geliefert, diese brutale
Politik unter Ausschluß der Öffentlichkeit durchzuführen. Milosevic selbst hat längst nichts mehr zu verlieren, er kann nur mehr gewinnen, und sei es auch nur im Rahmen einer Niederlage, als Held
eines neuen serbischen Mythos vom Amselfeld.
Fehleinschätzungen
Die NATO hat sich in ein unlösbares Dilemma manövriert, weil sie die Situation und die Haltung Milosevic offenbar falsch eingeschätzt hat, sie zu sehr an den Erfolg ihrer Bombendrohung geglaubt
hat, keine Worst Case Szenarien entwickelt hat und durch das 50-jährige NATO-Jubiläum zusätzlich unter Erfolgsdruck geriet, weil sie bei diesem Jubiläum nicht als Papiertiger, sondern als
Friedensstifter dastehen wollte.
Dieses eigene Prestige · neben der moralischen Zielsetzung · ließ im Hinblick auf die starre Haltung Milosevics in den Augen der NATO nur die Durchführung des so oft angedrohten Bombardements zu ·
ohne UNO-Mandat, wohlwissend, daß damit ein großes Risiko verbunden ist und obwohl die Geschichte lehrt, daß Angriffe von außen die Macht eines Diktators nur stärken, sodaß die Bombardierung den
Zielen Milosevic entgegen kam. Daher findet auch die Argumentation, daß die Angriffe sich gegen Milosevic und nicht gegen das serbische Volk richten, wenig Verständnis bei den Serben, da sie es sind,
die unter dem Bombenhagel leiden, während sie über Greueltaten im Kosovo nicht informiert werden.
Es ist unverständlich, daß die größte Militärmacht der Welt, die ihre Existenz und Legitimation mit abstrakten Worst Case Szenarien rechtfertigt, in ihren konkreten Plänen keine solchen für den Fall
vorsah, daß Milosevic der Stationierung von NATO-Truppen nicht zustimmt und trotz Bombardements nicht bereit ist, einen · inzwischen hinfälligen · Vertrag zu unterfertigen.
Tatsache ist, daß das NATO-Krisenmanagement versagt hat, wodurch nicht nur die albanische Bevölkerung, sondern auch die politische Glaubwürdigkeit des Bündnisses als Krisenmanager Schaden erlitten
hat. Die NATO gibt vor, Frieden, Stabilität und Wohlstand nach Osten zu exportieren. Die Bombardierung Jugoslawiens zeigt, daß es leichter ist, ein Land zu zerstören, als es zu befrieden. Von den
gigantischen Summen gar nicht zu reden, die hierbei sinnlos verpulvert werden.
Das Versagen des Krisenmanagements der NATO hängt auch mit ihrer grundsätzlichen Strategie zusammen, die davon ausgeht, daß der Frieden in der Welt durch eine militärische Kriegverhinderungspolitik
gesichert werden könne, die auf einer Allmacht von Militär und Rüstung beruht.
Völkerrechtliche Beurteilung
Die Luftangriffe der NATO auf Jugoslawien stellen eine Verletzung des Völkerrechts und der UNO-Charta dar, da der NATO zur Kriegführung das Mandat des Sicherheitsrates fehlt, der allein berechtigt
ist, Angriffe auf einen souveränen Staat zu legitimieren. Gegenteilige Rechtsauffassungen (z.B. Ersatzvornahme durch NATO) sind interessensbezogene Einzelmeinungen, die in ihrer Konsequenz zur
Auflösung der UNO führen würden.
Die Alternative zur UNO ist die Anarchie der Staatenweit, in der das Recht des Stärkeren herrscht. Es ist das Verdienst der USA, daß es zur Gründung der UNO kam, und die USA haben mit ihrer Gründung
ein großes Friedenswerk geleistet. Wenn die US-Politik nunmehr darauf abzielt, die UNO schrittweise durch die NATO zu ersetzen, so stellt diese Demontage der UNO eine völkerrechtswidrige
Kindesweglegung dar.
Nicht die Schwächung oder Abschaffung der UNO kann das Ziel sein, sondern ihre Reform. Diese Reform hat dem Werden des Völkerrechts Rechnung zu tragen, wonach die Menschenrechte keine inneren
Angelegenheiten der Staaten sind. Einmischungen zugunsten der Menschenrechte sind notwendig und finden ständig statt. Der Schutz der Menschenrechte unterliegt jedoch ebenfalls dem Gewaltverbot der
UNO · mit Recht, da der Krieg die größte Menschenrechtsverletzung darstellt. Durch die Kriegsführung wird das Los derjenigen, die unter der Menschenrechtsverletzung leiden, in der Regel nicht
verbessert, sondern verschlechtert, was das Beispiel Kosovo zeigt.
Was getan werden kann
Drei Schwerpunkte müssen simultan, unabhängig von den Fortschritten bei den anderen Bereichen, sofort gesetzt werden:
Es muß so schnell als möglich ein Waffenstillstand betreffend aller Kriegs-, Polizei-und Terrorhandlungen erreicht werden, der eine nachfolgende Zivilisierung der Lebensbedingungen erlaubt;
Es muß den vom Krieg besonders betroffenen Flüchtlingen geholfen werden;
Es müssen in Mazedonien und Albanien, wo es noch nicht zum Krieg gekommen ist, massive politische und wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen gesetzt werden, um einer militärischen Eskalation
vorzubeugen.
Für die Erreichung eines Waffenstillstands ist die Zustimmung der Kriegsparteien von Nöten. Eine solche Zustimmung kann nur dann erreicht werden, wenn sich die Kriegsparteien als Verhandlungspartner
akzeptieren oder eine Konfliktpartei derart in Vorteil kommt, daß sie den Waffenstillstand diktieren kann. Beides scheint auf absehbare Zeit nicht der Fall zu sein. Deshalb müssen sich nicht
beteiligte Vermittler, wie die UNO, die OSZE oder Rußland einschalten. Am geeignetsten erscheint die UNO, die als einzige Institution weitweit ein Mandat zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens hat
und der auch eine entscheidende Rolle bei der Sicherung eines erzielten Waffenstillstands zukommen könnte.
Zur Sicherung des Waffenstillstands und der Zivilisierung der Lebensbedingungen in der Region ist eine internationale Peace-keeping Mission erforderlich, welche mit den bereits bestehenden Missionen
der UNO in Mazedonien und der OSZE im Kosovo verknüpft werden könnte.
Das Mandat einer solchen Mission könnte fogendes enthalten:
Als politische Zielsetzung Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien mit dem Ziel, eine weitgehende Autonomie (allenfalls eine 3. Republik im Rahmen Jugoslawiens) für die Kosovo-Albaner zu
erreichen.
Als militärische Zielsetzung die Entwaffnung der Konfliktparteien und den Schutz der Zivilbevölkerung und der zivilen Missionsmitglieder und anderer internationaler Helfer.
Als zivile Zielsetzung den Schutz der Zivilbevölkerung durch internationale Polizei und durch die Unterstützung der Rückkehr und Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen sowie der
Versöhnung. Dazu gehören auch der Aufbau von politischen und legalen Strukturen einschließlich einer ethnisch gemischten kosovarischen Polizeitruppe, der Menschenrechtsschutz und die Hilfe beim
Wiederaufbau.
Neben der Peace-keeping Mission bedarf es des Engagements vieler internationaler Nichtregierungsorganisationen, die als neutrale Vermittler helfen, die Kluft, die sich über Jahrhunderte zwischen den
verfeindeten Volksgruppen aufgebaut hat, zu verringern.
Unabhängig vom Erfolg der Waffenstillstandsbemühungen muß den vom Krieg besonders betroffenen Flüchtlingen geholfen werden und es müssen in Mazedonien und Albanien, wo es noch nicht zum Krieg
gekommen ist, massive politische und wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen gesetzt werden.
Jede derartige Unterstützung beugt einer weiteren militärischen Eskalation vor und verhindert weitere menschliche Opfer und materielle Zerstörung mit allen finanziellen Konsequenzen für Europa und
die ganze Welt. Wirtschaftliche Unterstützungen für die gesamte Konfliktregion könnten mit einem wirtschatlichen Wiederaufbauprogramm verbunden werden, welches die "Agenda für den sozioökonomischen
Wiederaufbau Zentral- und Osteuropas" berücksichtigt, wie sie in der ÖAW-Studie "Der Markt-Schock" vorgelegt wurde.
Bezüglich der Maßnahmen in allen drei Bereichen ist ein öffentlicher Diskurs zu fördern, ohne den keine nennenswerten Fortschritte erwartet werden können. Insbesondere kleine Staaten wie Österreich
sind hier gefordert.
Möglicher Beitrag
Österreichs
Es ist zu begrüßen, daß Österreich gemäß seiner Verfassung (Neutralitätsgesetz) am militärischen Angriff der NATO auf Jugoslawien nicht teilnimmt und für die Bombardierung Jugoslawiens keine
Überflugsgenehmigung erteilt hat. Den Druck, den NATO auf Österreich deshalb ausübt, läßt ahnen, welchen Druck Österreich als Mitglied der NATO ausgesetzt wäre.
Als kleiner unabhängiger und neutraler Staat könnte Österreich versuchen, die unter dem vorhergehenden Punkt angeführten Vorschläge zum Gegenstand eigener Initiativen zu machen.
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Dr. Gerald Mader ist Präsident des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK) auf Burg Schlaining.