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Die Gewalt gegen Kopten in Ägypten zeigt, dass der Arabische Frühling nicht automatisch demokratische Zustände herbeiführt.
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Sie wurden als Helden gepriesen und lösten eine Welle der Euphorie aus: Vom arabischen Fernsehsender Al-Jazeera über die entlegensten Dörfer Nordafrikas bis hinein in die Metropolen des Westens wurden die Kämpfer des Arabischen Frühlings gefeiert und neue, bessere Zeiten angekündigt.
Die derzeitige gewaltsame Eskalation in Ägypten zwischen christlichen Kopten und den Sicherheitskräften der neuen Militärregierung zeigt uns allerdings ein neues Gesicht jener Revolution. Diesmal haben die religiös motivierten Gefechte 26 Menschenleben gefordert und mehr als 300 Verletzte hinterlassen. Am brutalen Vorgehen der ägyptischen Armee gegen das Aufbegehren einer alten Minderheit, die sich seit jeher unterdrückt und missachtet fühlt, hat sich seit Jahrzehnten wenig geändert - und auch jetzt nicht, wie es scheint.
Es sind vor allem islamistisch-konservative Kräfte der Muslimbruderschaft, mehrheitlich Anhänger der Gruppe Al-Jihad, die sich mit der Idee einer neuen Verfassung, die die Freiheiten ethnischer und religiöser Minderheiten gewährleisten soll, nicht anfreunden wollen. Auf ihr Konto geht nicht nur die Ermordung des liberal gesinnten ägyptischen Staatspräsidenten Anwar as-Sadat vor genau 30 Jahren, sondern auch zahlreiche Angriffe auf Kopten, die dem Ideal eines islamischen Gottesstaates im Weg stehen.
Der gestürzte ägyptische Machthaber Muhammad Hosni Mubarak hatte gut daran getan, sich nicht mit diesen radikal-islamischen Kräften anzulegen, die ihm den Verrat seiner Nation zur Last gelegt hätten. Er hatte sie - ganz im Gegensatz zum gestürzten tunesischen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali - stillschweigend geduldet. Doch in wessen Interesse werden die neuen Übergangsregierungen in Ägypten, Tunesien und Libyen agieren?
Es wäre falsch und vielleicht noch verfrüht, die Errungenschaften der Freiheitskämpfer des Arabischen Frühlings kleinzureden. Noch verwegener, wenn nicht sogar kurzsichtig ist aber jener Optimismus, den Regierungskräfte der USA und Europas über Fernsehen und Zeitungen seit Mitte Jänner zur Schau stellen.
Denn die Schlussfolgerung, dass nach dem revolutionären Umsturz eines autoritären Regimes demokratische Zustände folgen würden, hat sich nur zu oft als Trugschluss erwiesen. Ein lebender Beweis dafür ist Russland, das sich nach dem Zerfall der Sowjetunion nicht zu einer Demokratie mit sozialer Gerechtigkeit entwickelt hat, sondern ins Chaos abgerutscht ist.
Der Euphorie westlicher Politiker und Reporter steht also die Angst unzähliger Araber entgegen. Nicht nur jene der ägyptischen Kopten, sondern auch die Unsicherheit der gebildeten und liberalen Menschen - Männer wie Frauen -, die eine noch größere Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit befürchten, als sie schon bisher am eigenen Leib erfahren haben.
Eine Garantie, dass sich alles zum Besseren wenden werde, können ihnen nämlich die USA und die Europäische Union trotz ihrer voreiligen Anerkennung der neuen Übergangsregierungen in Arabien nicht bieten.