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Das "Neue Große Spiel"

Von Ritt Goldstein

Politik

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Das US-Außenamt empfahl den Amerikanern, Indien zu verlassen. Tags darauf zog die UNO ihr Personal ab. Rund 20.000 Bürger Großbritanniens und viele aus EU Ländern leben in Indien. Schon gab es Schwierigkeiten, von Delhi abzufliegen. Und während der größte Teil der Welt in surreal anmutendem Unglauben sich abweisend und abwehrend verhielt, drohten Millionen Menschen Opfer eines obszönen Vorgangs werden, der das "Neue Große Spiel" genannt wird.

Das "Neue Große Spiel" ist der Ausdruck für den Wettbewerb um die Dominanz der großen Mächte in Süd/Zentralasien. Das ursprüngliche "Große Spiel" in dieser Region fand im 19. Jahrhundert zwischen Rußland und Großbritannien statt. Die moderne Version hat sich im Laufe der beiden letzten Jahrzehnte wesentlich beschleunigt. Wir haben es mit einer gefährlichen, labilen geo-politischen Rivalität zu tun, die zuerst in der Version USA gegen UdSSR gespielt wurde und jetzt mehr in Richtung USA und großer Ölfirmen gegen einen bedeutenden Teil der Bewohner der Gegend und islamische Fundamentalisten geht.

Die gegenwärtige Frontstellung zwischen Pakistan und Indien stellt eine direkte Konsequenz dieses Spieles dar, wobei Kaschmir nur der schwächste Punkt in der politischen Stabilität dieser Gegend ist, und somit der mögliche Brandherd für deren Zerfall.

Im Februar schrieb ich: "Die Wirklichkeit eines in der Tat de-stabilisierten Pakistan ist nunmehr Realität geworden. Eingeleitet durch die Erschütterungen einer falschen Außenpolitik, sowohl im Land selbst als auch von Amerika. Die Jihad, jene pakistanische Kampftruppe, die für die Unabhängigkeit der Kashmiri und gegen die westliche Intervention kämpfen, sind aufs engste mit dem pakistanischen Militär und der Spionage (ISI) verknüpft. Sowohl die ISI wie auch die CIA ermutigten und unterstützten die afghanischen Brüder der Jihad, und trugen somit zum Aufbau der Mujahedin in den achtziger Jahren bei. Pakistan ist im Strudel der Unterstützung der Jihad seitens der Bevölkerung gefangen. Wie die "Washington Post" im Februar warnte, sieht ein bedeutender Teil der pakistanischen Bevölkerung Musharraf als "US-Agenten".

Den Schlüssel zum Verständnis der gegenwärtigen Krise findet man, wenn man sowohl ihre US-amerikanischen wie auch ihre pakistanischen Wurzeln fasst. Die USA hatten islamische Fundamentalisten als Verbündete in der regionalen Auseinandersetzung mit der UdSSR unterstützt. Das Spiel drehte sich vor allem um politische Vormachtstellung, wobei die Amerikaner sowohl die Pakistani wie auch die Saudis ermutigten, die Fundamentalisten in ihren Bemühungen, Afghanistan vom russischen Einfluß zu befreien, zu unterstützen. Mit US-Ermutigung kamen Gelder aus Saudiarabien, und Gelder, Güter, Unterstützung und Berater gingen via der pakistanischen ISI an die Mujahedin. Während der 90er Jahre kam das Geld vor allem von den Saudis, auch jenes an die Taliban. Die Saudis rechtfertigten ihre Unterstützung mit religiösen Gründen, sie wollten den Wahabismus (die strikte Form des saudischen Islam) fördern; die Pakistanis fühlten sich ermutigt, eine de facto Annexion von Afghanistan ins Auge zu fassen (Pakistans sogenannte Doktrin der "strategischen Tiefe"). Mit dem Zusammenbruch der UdSSR erlahmte auch die Unterstützung der USA, wogegen die Fundamentalisten weiterhin der Unterstützung durch Saudiarabien und Pakistan gewiß sein konnten. In der Zwischenzeit wurden in den 90er Jahren, teilweise verdeckt, Öl und Gas das Ziel des "Großen Spiels". Im Februar schrieb ich: "Die Ziele Amerikas bestanden darin, den russischen Einfluß zu brechen und danach die westliche Energie-Sicherheit durch eine Diversifikation der Lieferung zu gewährleisten, wie der Nationale Sicherheitsrat 1997 dem US Senat mitteilte". Yasushi Akashi, UN-Generalsekretärstellverteter für humanitäre Angelegenheiten, berichtete bereits 1996, daß "von außen kommende Interventionen in Afghanistan auf die Schlacht um Öl und Gasleitungen bezogen sind. Die Mächtigen mieten die Taliban nur für ihre eigenen Zwecke an."

Die islamischen Fundamentalisten wurden als Bauern im "Großen Neuen (Schach)-Spiel" angesehen. Der frühere nationale Sicherheitsberater Zbigniew Brezinski beschrieb, wie das Potential der Fundamentalisten für unabhängige Aktionen gesehen wurde und tat sie 1998 abschätzig als "ein paar aufgehetzte Muslime" ab. Die Möglichkeit, daß Islamisten die Sicherheit der Vereinigten Staaten bedrohen könnten, beschrieb er als "Unsinn!". Sein Buch über Geo-Strategie trägt den Titel "Das Große Schachbrett".

Abgesehen von dem heutigen Potenzial eines nuklearen Krieges und dem 11. September ist die angeblich vom Jihad mit Unterstützung des ISI durchgeführte Dezember-Attacke auf das indische Parlament ein entscheidendes Faktum. Zwar hat General Musharraf viele der ISI-Offiziere entfernt, den Oberbefehl der Armee neu organisiert und eine sehr große Anzahl von militanten Muslimen verhaftet. Musharraf kann vielleicht den Zugang der Fundamentalisten zu den Schalthebeln der Macht kontrollieren, aber gegen die Zuneigung und Unterstützung der Bevölkerung ihnen gegenüber kann er nichts unternehmen. Und somit kommt die indische Version der CIA zu dem Schluß, dass Musharraf sehr begrenzte Möglichkeiten hat, die Jihad zu bekämpfen und die Unterstützung der Jihad durch die Bevölkerung ihn "zur Zeit unfähig macht, sich zu bewegen .... und er weiß es."

Zwar kann die derzeitige Krise vorübergehen, aber es muß damit gerechnet werden, daß die Angriffe der Jihad weiter gehen, bis ihre Ziele erreicht werden und Indien gezwungen wird, eine politische Antwort zu geben, während Musharraf durch die Unterstützung der Jihad seitens der lokalen Bevölkerung die Hände gebunden sind. Somit bleiben die Voraussetzungen für eine nukleare Krise weiter bestehen.

Sollte der Konflikt ausbrechen, rechnet man damit daß er sehr wahrscheinlich zu einem Einsatz nuklearer Waffen kommen wird, und das Pentagon meint, daß 12 Millionen Menschen sterben und weitere 6 Millionen in den ersten Wochen verwundet werden würden. Ein derartiger Konflikt würde praktisch permanente ökologische Konsequenzen für die Erde bedeuten und weltweit radioaktiven Ausfall bewirken.

Übersetzung P. Ebner