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Das Neue ist das neue Alte

Von Judith Belfkih

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Meditieren ist das neue Joggen. Stricken ist das neue Yoga. Zu zweit ist das neue Alleine. "Alien" ist das neue "Star Wars". Hinten ist das neue Vorne. Leben ist das neue Sterben. (Im Ernst, dieses Buch gibt es.) Teilen ist das neue Haben. Grau ist das neue Schwarz. Grün ist das neue Schwarz. Roségold ist das neue Schwarz. Wasser ist das neue Öl.

Und irgendwann beißt sich die Katze in den Schwanz.

Die Lust des Menschen auf etwas, das er in die Kategorie neu stecken kann, ist unerschöpflich. Und schon allein das Etikett neu erzeugt einen Sog an Aufmerksamkeit. Etwas ist neu, daher muss es besser sein als das alte. Ein oft trügerischer Schluss.

Wie die Mechanismen des Neuen funktionieren, hat der Philosoph Boris Groys vor einigen Jahren untersucht. In seinem Essay "Über das Neue" arbeitet er heraus, was das Neue in der Kunst bedeutet: die schlichte Aufwertung von bisher als wertlos Erachtetem zu Wertvollem. Die künstlerische Innovation beschreibt er als die beständige Neubestimmung der Grenze zwischen einem Bereich des wertlos "Profanen" und der als wertvoll erachteten "Kultur" dar. Siehe Fettfleck oder Pissoir. Wobei etwas, das einmal Kultur war, auch wieder ins Profane absinken kann. Um wieder in die vermeintlich höheren Sphären der Kunst gehoben zu werden.

Wem das zu komplex ist, ein praktisches Beispiel: ein Kleidungsstück, das einmal neu und objektiv oder subjektiv wertvoll war. Das Interesse schwindet, der Wert sinkt. Gut abgehangen lässt sich das gute Stück dann wieder neu entdecken. Dann ist einfach Retro das neue Neu.