Die hedonistische Party unter dem Regenbogen muss wieder politischer werden.
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Diesen Samstag hat FPÖ-Obmann Herbert Kickl ein Problem: Denn ab Mittag gibt es wieder einen "Aufmarsch nackter und sexuell anzüglich verkleideter Personen", wie er erst kürzlich in einem Brief an den Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP) beklagte. In seinem Schreiben kritisierte Kickl auch die Tatsache, dass das Parlament im Rahmen der "Pride"-Woche in den Regenbogenfarben angestrahlt wird, und wetterte gegen Transsexuelle. Das Parlament sei "das Sprachrohr aller Bürger und nicht das Megafon einer schrillen Minderheit", schrieb Kickl. Dass die Regenbogenfarben nichts anderes symbolisieren als Toleranz und Akzeptanz, ficht ihn nicht weiter an. Kickl ist eben Kickl.
Und was den "Aufmarsch nackter und sexuell anzüglich verkleideter Personen" betrifft: Die Regenbogenparade ist Jahr für Jahr Österreichs größte jährlich stattfindende Demonstration, die heuer bereits zum 27. Mal über die Wiener Ringstraße zieht. Das Organisationsteam spricht von einem "unübersehbaren Zeichen für eine Gesellschaft gegründet auf Wertschätzung, Anerkennung und gleichen Rechten - unabhängig von sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität oder Geschlechtsmerkmalen".
Warum also stößt sich Kickls FPÖ an dieser Parade von Lebensfreude und Toleranz? Die Hetze gegen die Rechte der LGBTQ+-Community tritt bei Rechtsextremen und Rechtspopulisten neben dem Kampf gegen Migranten mehr und mehr in den Vordergrund. Der Grund: Der sich zuspitzende Arbeitskräftemangel wird dazu führen, dass sich die Haltung in der Bevölkerung zur Zuwanderung verändern wird, Rechtspopulisten suchen bereits seit einiger Zeit neue Feindbilder. Schwule, Lesben, queere und Transgender-Personen werden vom Friedrich-Schmidt-Platz in Wien, wo sich die Bundesgeschäftsstelle der FPÖ befindet, über Budapest bis Moskau zu Unpersonen erklärt. "Identitätspopulismus braucht ein Feindbild, eine vulnerable Minoritätsgruppe, gegen die man die Menschen aufbringen kann und gegen die man mit Furcht mobilisieren kann", erklärte Demokratieforscher Larry Diamond jüngst in einem hörenswerten Podcast der "Financial Times" von Martin Wolf. Auffällig ist, dass mit dem LGBTQ+-Feindbild von afrikanischen Populisten oder Autokraten - so wie von Wladimir Putin - eine antiwestliches Dekadenzerzählung mitverbreitet wird samt moralischer Überhöhung der eigenen, straighten Positionen.
Die "Pride" muss nach den Jahren des Regenbogen-Kommerzes und der hedonistischen Party wieder politischer werden. Die bunte Regenbogenfahne ist eben das Banner radikaler Toleranz. Kein Wunder, dass Kickl sich daran stößt. Happy Pride!