Die SPÖ hat ein neues Grundsatzprogramm entwickelt. Aber braucht es das überhaupt noch?
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Wien. Als die SPÖ ihr heute aktuelles Grundsatzprogramm beschloss, war Sebastian Kurz zwölf Jahre alt. Und der Satz "Es ist kein Zufall, daß die Sozialdemokratie in den letzten Jahren zur größten politischen Kraft in Europa aufgestiegen ist" hatte tatsächlich Gültigkeit. Darum wurde er im Oktober 1998 auch in das Parteiprogramm hineingeschrieben.
Nach einer derart langen und ereignisreichen Zeit ist es naheliegend, das Grundsatzpapier einem, nun ja, Update zu unterziehen (der Duden nahm diesen Begriff 2010 ins Wörterbuch auf). Schon vor mehr als drei Jahren hat die SPÖ den Prozess begonnen und Josef Cap (66) sowie Karl Blecha (85) mit der Koordination beauftragt. Die Idee erwies sich als mittelgut, ihr Entwurf genügte Parteichef Christian Kern nicht. Er lobte einen Beteiligungsprozess aus, an dem nach eigenen Angaben 16.000 Menschen on- und offline teilnahmen.
Am Freitag stimmt das Parteipräsidium darüber ab, Mitgliedern wird es im Sommer vorgelegt, im Oktober soll es dann am Parteitag beschlossen werden. Wobei das Papier für Kern explizit nur einen Zwischenschritt darstellt. Er will die stete Auseinandersetzung mit Wesen, Werten und Inhalten der Sozialdemokratie in die SPÖ zurückholen. Denn diese sei verloren gegangen.
Begleitet wird die programmatische Modernisierung von einer Organisatorischen. Und das ist vermutlich der wichtigere Teil der Übung. Die SPÖ will sich für die Zivilgesellschaft öffnen, für mehr Fluktuation bei den Mandatsträgern sorgen und die Basis mittels Initiativrecht ermächtigen. Die direkte Demokratie will die SPÖ also nach innen leben, auf parlamentarischer Ebene steht sie ihr bekanntlich skeptisch gegenüber.
Auch beim Grundsatzpapier wurde bereits auf die Partizipation von engagierten Neo-Mitgliedern und NGOs gesetzt, um das veraltete Programm aus 1998 zu ersetzen. Doch warum braucht eine Partei im 2018 überhaupt ein solches Grundsatzpapier?
"Viele Leute werden es nicht lesen", sagt der Politikberater Thomas Hofer. Sebastian Kurz hat vorgeführt, dass ein solches Programm auch keine Notwendigkeit für einen Wahlerfolg ist. "Je konkreter man wird, desto eher läuft man auch Gefahr, von Entwicklungen überholt werden", sagt Hofer. Kurz, aber auch andere Politiker wie in Frankreich Macron, seien gerade deshalb erfolgreich gewesen, weil sie zur Projektionsfläche für Wünsche unterschiedlicher Menschen wurden.
Für die SPÖ als ideologische Partei kann so ein Papier freilich dennoch wichtig sein. "Es ist ein Zeichen nach innen", sagt Hofer. Die rege Beteiligung an dem Prozess offenbarte jedenfalls ein Bedürfnis der Mitglieder, ein solches Grundsatzprogramm zu erarbeiten und zu diskutieren. Wie in vorangegangenen Programmen beschreibt die SPÖ darin ihr Ideal eines "Menschenbildes", auch wenn dieser Begriff heute nicht viel zeitgemäßer klingt als im Jahr 1998.
Riskante Beteiligungsmodelle
Allerdings steckt in solchen Beteiligungsmodellen auch ein gewisses Risiko. Zunächst einmal ist es, wie Hofer betont, ein "enorm mühsamer und kostenintensiver Prozess". Der kann durchaus lohnend sein, wie Beteiligungsprozesse etwa bei Bauprojekten zeigen. Doch ein politisches Grundsatzpapier ist etwas anderes. Und die Gefahr ist nicht gering, dass sich Mitwirkende in ihrem Engagement nicht ausreichend wertgeschätzt fühlen. Davon berichten auch Teilnehmer von Programmtreffen.
"Es können sich auch nicht 16.000 in diesem Papier wiederfinden", sagt Hofer. Es sei ein nicht lösbares Problem derartiger Partizipationsmodelle, betont der Politikberater. Im schlechtesten Fall führt das Gefühl, nicht wirklich eingebunden zu werden, zu Frustration und Verärgerung - und damit zum Gegenteil dessen, das die Partei beabsichtigt hat.
Andererseits: "Man kann es nicht mehr dekretieren", so Hofer. Ohne Einbindung der Basis geht es nicht mehr. Keine Partei kann sich das erlauben. Auch Kurz hatte zu "Österreich-Gesprächen" geladen, deren Inhalte - zumindest nach eigenen Angaben - auch Aufnahme ins Wahlprogramm gefunden haben. Doch ein Wahlprogramm ist etwas Konkretes und Unmittelbares. Ein Grundsatzpapier muss dagegen lange halten.
Wahlprogramme und thematische Schwerpunktsetzungen sollen sich aber künftig aus dem neuen Parteiprogramm ableiten, wobei Kern bereits einige Themenfelder herausdestillierte: So will die SPÖ für eine Arbeitszeitverkürzung (vier Tage plus ein Bildungstag) eintreten, die Klimaziele zehn Jahre früher als geplant erreichen, zudem soll Kapital und Arbeit künftig gleich besteuert werden. Auf europäischer Ebene will die SPÖ die Kommission aufwerten und den Rat zu einer Länderkammer zurückstutzen. Anders könne die EU nicht der Krise entkommen, sagt Kern.
Bewusste Utopie
Dass einige dieser konkreten Forderungen, die die SPÖ nun entwickelte, geradezu utopistisch wirken, ist durchaus beabsichtigt, auch wenn Kern betont, die "Mitte nicht verlieren" zu wollen. Es ist der Luxus der Oppositionsrolle, Positionen vertreten zu können, die sich kaum bis gar nicht realisieren lassen, selbst wenn man später in Regierungsverantwortung kommt- wovon Kern übrigens fest ausgeht.
Der Ex-Kanzler hatte sich selbst zehn Jahre Zeit für die Politik eingeräumt. Und dieser Zeitraum findet nun auch Eingang in die Organisationsreform. Wer länger als zehn Jahre im Amt bleiben will, muss von den Mitgliedern mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit bestätigt werden. Das soll die personelle Veränderung erhöhen. Durchaus spannend, vor allem für eine alte Partei wie die SPÖ, ist das Initiativrecht. Zehn Prozent der Mitglieder sollen einen Antrag einbringen können. Und zwar jeden, auch einen über die Direktwahl des Vorsitzenden.
Im Oktober wird das neue Selbstbild der SPÖ dann in seiner endgültigen Version gezeichnet sein. "Dieser erste Schritt ist wichtig", heißt es in dem Entwurf, "aber letztlich nur der Anfang eines weitaus größeres Projektes, das Österreich verändern wird: die Schaffung einer sozialen Demokratie." Freilich: Der Begriff der "sozialen Demokratie", ist nicht neu. Er stand auch im Grundsatzprogramm von 1998.
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