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Es ist eine Welt der Gegensätze und der sich drehenden Winde, in der die Mechanismen der Demokratie keine Grundprobleme und keine Grundfragen mehr entscheiden.
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Das Jahr 2019 nimmt Abschied und hinterlässt eine unvollendete Bilanz. Die EU steht vor den Folgen der britischen Pro-Brexit-Wahlen, und Österreich, das in die Irrungen und Wirren hineingezogen wird, hat momentan trotzdem eine stabile Regierung, Pardon, "Übergangsregierung".
Welcher Übergang? Nach den durch den Ibiza-Skandal vom Zaun gebrochenen Wahlen treiben die Regierungsverhandlungen seltsame Blüten. Obwohl Türkis und Grün noch keinen weißen Rauch durch den Kamin bringen, erzielen sie in den Umfragen zusammen bereits nahezu 60 Prozent Zustimmung. Das Außergewöhnliche ist in den Augen der Bevölkerung attraktiver als das Normale. Der Verdacht wächst, dass im Falle eines Scheiterns der Politik-Conférenciers Sebastian Kurz weitere 5 Prozent sammeln und Werner Kogler diesen türkisen Zuwachs verlieren würde. Man könnte wieder wählen, was Kurz ja am liebsten zu tun scheint.
Es bleibt alles in Schwebe, ein Lieblingszustand der Österreicher. Bekanntlich haben bei uns Provisorien oft eine lange Gültigkeit. Warum sollte das Kabinett von Kanzlerin Brigitte Bierlein nicht mindestens bis zum Frühjahr 2020 regieren? Wenn man allerdings den "Beratern" und "Meinungsforschern" in den Fernsehkanälen aller Art zusieht und zuhört, entsteht der Eindruck, als gebe es diese Regierung gar nicht. Die von Journalisten und medialen Schauspielern ins Licht gerückten Spekulationen erscheinen wie Tatsachen. Wien ist und bleibt also eine Theaterstadt.
Jugend in Europa im Vormarsch, US-Wahl bestreiten Großväter
Die USA hingegen haben zwar eine nach deren Traditionen gewählte Regierung, aber kaum ein Minister ist noch derselbe wie zum Amtsantritt von Präsident Donald Trump. Die Supermacht wird von einem über 70-Jährigen über tägliche Kurznachrichten regiert. Was auf Twitter von Trump wie verschütteter Whisky die Welt außerhalb von Washington erreicht, wird von den traditionellen Medien vervielfacht - auch ein Theater mit ungewissen, weil einander oft widersprechenden Perspektiven für 2020. Jüngster Tweet: Die Amerikaner sollen ihre Wasserhähne reparieren lassen, zu viele rinnen. Eine elektronische Kontrolle könnte helfen, wurde ihm - ebenfalls über Twitter - geantwortet.
In anderen Teilen der Welt ist die Jugend im Vormarsch, Vorreiter war und sind Kurz als jüngster Altkanzler, Greta Thunberg als Demonstrantin auf dem Atlantik sowie zwei ein wenig über 30-Jährige als Regierungschefinnen in Neuseeland und Finnland. Der US-Wahlkampf indes wird von Großvätern geschlagen. Trump (73) steht auf der republikanischen Seite, Joe Biden (77), Vizepräsident von Barack Obama, und Michael Bloomberg (77), bis 2013 Bürgermeister von New York (damals unter republikanischer Flagge), kommen aus dem demokratischen Lager, in das der Medienmogul vor einem Jahr wieder zurückgekehrt ist.
Es ist eine Welt der Gegensätze und der sich drehenden Winde, in der die Mechanismen der Demokratie keine Grundprobleme und keine Grundfragen mehr entscheiden. Gewählt wird nach den Quoten und Einschaltziffern des Fernsehens und der Social Media, vor allem nach den Gesichtern und Sprüchen. Abgewählt werden jene, deren plakative Vergehen auch optisch einiges hergeben, siehe Ibiza.
Bildung und Klimawandel als drängende Herausforderungen
Wirklich lesen können und wollen ohnehin nur noch dünne Schichten der gebildeten Bevölkerung. Seit Jahren haben die skandinavischen Länder laut Pisa-Tests die Nase vorn. Aber die zentraleuropäischen Konservativen stecken in ihren Ideologien fest, die Sozialdemokraten bringen auch da nichts auf die Reihe. Eine Reform des österreichischen Bildungswesens wäre aber mindestens so wichtig wie tiefgreifende Maßnahmen gegen die Folgen des Klimawandels. Ob Türkis und Grün sich darauf verständigen können? Eher nicht. Die Frage ist nur, wie lange sich Österreich in der Bildung, in der Wissenschaft, in den Klimafragen der internationalen Entwicklung wird widersetzen können. Fast überall fallen wir, was den Fortschritt betrifft, zurück. Der ist für die Menschen allerdings nicht immer gut. Eine türkis-grüne Regierung sollte, falls sie zustande kommt, eine Regierung der Lösungen sein und nicht eine Werbeagentur für Retro-Träume.
2020 wird auf der einen Seite dominiert sein vom US-Wahlkampf, andererseits vom wirtschaftspolitischen Kampf zwischen den USA und China. Dazwischen navigieren die EU und deren Brüsseler Kommission jetzt schon, siehe Pro und Contra Huawei. Die Chinesen haben wirtschaftlich und technisch zu den Amerikanern aufgeschlossen. Im neuesten Zukunftsreport des britischen "Economist" über das Jahr 2020 wurde mit einer durch Künstliche Intelligenz betriebenen Maschine namens GPT 2 ein Interview geführt. Zwei Fragen seien herausgegriffen.
Frage: "Werden Fake News zunehmend eine Gefahr für die Demokratie sein?"
Antwort: "Ja. Denn sie werden von politischen Kampagnen betrieben und haben daher großen Einfluss auf Wahlergebnisse. Sie streuen falsche Informationen - und das ohne Faktenbasis."
Frage: "Welche grundsätzlichen Voraussagen für 2020 haben Sie?"
Antwort: "Ich bin zwar kein Futurologe, aber es wird 2020 einen signifikanten politischen Wandel geben. Einerseits, weil es in der EU massive Veränderungen geben wird, vor allem durch den Austritt der Briten, andererseits, weil es in China ebenfalls starke Änderungen geben wird."
Urban Gardening im Supermarkt, Zweisitzer-Drohne in der Luft
Spannendere Antworten werden wohl auch 2020 noch die Menschen selbst geben. Aber weniger in der Politik, sondern in den von den Wissenschaften initiierten Anwendungen. Wenn zum Beispiel Urban Gardening, wie es die schnell wachsende deutsche Firma infarm praktiziert, mittels Indoor-Gärten den täglichen Bedarf an Salaten und anderem Gemüse gleich im Supermarkt produziert. Ähnlich einer "Bakery" wird das die morgendliche Zulieferung dramatisch reduzieren. Salat-Drohnen wird man allerdings nicht mehr brauchen.
2020 wird möglicherweise auch ein entscheidendes Jahr beim Kampf gegen die Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll. Immer mehr effiziente Abräum- oder Absaugsysteme werden eingesetzt, die aufgedruckten Firmen sollen zur Kasse gebeten werden. Für den Kleinverkehr naht ebenfalls ein entscheidendes Jahr. Benzingetriebene Pkw werden aus Innenstädten verbannt, strombetriebene Lkw entgehen einer CO2-Steuer, die es in Dänemark und der Schweiz bereits gibt. 2020 wird EHang, ein chinesischer Konzern in Guangzhu, mit der kommerziellen Produktion einer zweisitzigen Drohne beginnen, die von acht Propellern angetrieben wird und vor allem Lasten transportiert. Solche Nachrichten werden zunehmend die Schlagzeilen beherrschen und nicht jene, die den Machtspielen der politischen Eliten entspringen. Die Politik dankt langsam ab.