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Das Oxymoron der Handy-Auswertungen

Von Patrick Krammer

Politik
WZ-Illustration, Bildmaterial: getty images / bgblue
© WZ-Illustration, Bildmaterial: getty images / bgblue

Der justizielle Umgang mit Handys ist zum parteipolitischen Spielball geworden. Dabei gibt es viel mehr zu beachtende Aspekte. Eine Analyse.


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Man kann sich der Anlässe gar nicht erwehren, um sich das Problem der Handy-Sicherstellung genauer anzusehen: Der Verfassungsgerichtshof verhandelte vergangenen Donnerstag öffentlich über einen Antrag, Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) möchte die Auswertung von Handys - inklusive Zitierverbot für Medien - schon länger einschränken. Auch die Österreichische Rechtsanwaltskammer (Örak) legte vor einigen Monaten einen Entwurf vor, mit dem das bewerkstelligt werden sollte.

Und dann wäre da noch der Fall von Franz Miklautz, dem Kärntner Investigativjournalisten, bei dem die Polizei vorstellig wurde, nachdem er über fragwürdige Vorgänge im Klagenfurter Rathaus berichtet hatte. Er verwies auf interne Dokumente, für die Staatsanwaltschaft hatte hier jemand Amtsmissbrauch begangen. Trotz Pressefreiheit und Redaktionsgeheimnis war Miklautz Erstbeschuldigter. Kurze Zeit später musste das Justizministerium eingreifen: Die Ermittlungen gegen Miklautz wurden eingestellt, sein Handy und Laptop zurückgegeben. Fachaufsicht und Justizministerin Alma Zadic (Grüne) betonten mehrfach, wie wichtig die Pressefreiheit nicht sei.

Im Zentrum des Skandals: die Sicherstellung von Mobiltelefonen und ähnlichen Datenträgern. Die können, ganz ohne richterlichen Beschluss, von einer Staatsanwaltschaft selbst angeordnet werden. Für manche geht das zu weit, andere wollen noch weitergehende Möglichkeiten.

(Korruptions-)Ermittlungen brauchen Sicherstellungen

Strafverfolgungsbehörden sind oft in ihrer Arbeit auf den Zugriff von Mobiltelefonen, Laptops und Festplatten angewiesen. Viele Delikte können erst dadurch belegt oder nachvollzogen werden. Vor allem im Korruptionsbereich führt kaum ein Weg daran vorbei. Die Ermittlungen gegen den ehemaligen Generalsekretär des Finanzministeriums, Kurz-Intimus Thomas Schmid, zeigen, wie es in der Praxis funktioniert. Die Kommunikation soll möglichst sicher sein. Es werden so gut wie keine E-Mails geschrieben, sondern verschlüsselte Chatnachrichten. Bei einem unguten Gefühl wird gelöscht. Im Fall von Schmid unzureichend, sein Chatverlauf wurde auf einer Festplatte entdeckt. Dass seine Nachrichten rekonstruieren wurden, wusste er nicht. Die Folgen sind bekannt.

Die Regeln zur Sicherstellung von Mobiltelefonen stammt aus 2008. Damals als "Jahrhundertreform" angepriesen, weil man sich damit endlich von der Grundlage aus 1873 verabschiedete, heißt es heute, dass die technische Weiterentwicklung nicht mehr abgebildet werden kann. Die erste Generation des iPhones war da gerade einmal 52 Tage auf dem österreichischen Markt. Seitdem ist viel passiert. Das Handy wurde zum digitalen Mittelpunkt des Lebens, zum zentralen Kommunikationstool und ersetzte in vielen Bereichen Laptops und Standgeräte. Über Apps und Cloud-Lösungen gibt es heute Informationen, an die man vor 2008 noch gar nicht denken konnte.

Auch in der Strafprozessordnung (StPO) gab es seit der "Jahrhundertreform" 60 Novellierungen. Nur die Sicherstellung wurde nie angefasst. Wieso? Christian Manquet, Sektionschef im Justizministerium argumentierte das am Donnerstag vor dem Verfassungsgericht: Die StPO sei "technikneutral" verfasst, sonst müsste man auf alle technischen Erneuerungen gesetzlich reagieren. Man würde so hinter terroristischen und verbrecherischen Organisationen hinterherhinken, die technische Neuerungen viel schneller implementieren.

Richterliche Bewilligung bei Sicherstellung gab es bereits

Ganz so gut dürfte es in der Praxis aber nicht funktionieren. Eine Sicherstellung hängt laut StPO an einem Gegenstand wie einer Festplatte. Um an Daten zu kommen, muss die Behörde einen Gegenstand einsammeln. Bei einem Handy ist das vielleicht nicht so ein großes Problem, bei einer hetzerischen Webseite, deren Server im Ausland steht, dafür umso mehr. Ein Sprecher der Standesvertretung der österreichischen Staatsanwälte sprach sich kürzlich im Parlament deshalb dafür aus, "den Umgang mit gesicherten Daten" neu zu regeln.

Aus dem Kabinett von Verfassungsministerin Edtstadler heißt es, dass man vor allem die Auswertung von Datenträgern erst nach einer gerichtlichen Überprüfung zulassen wolle. Das passiert in vielen Fällen aber schon jetzt, da man noch während der Sicherstellung Beschwerde einlegen, das Handy versiegeln und bei Gericht hinterlegen lassen kann. Doch das geht Edtstadler nicht weit genug. So eine Prüfung geschehe immer nachträglich, da könne eine Auswertung schon begonnen haben. Ob sich damit viel verändert, kann bezweifelt werden. 2008 war die Sicherstellung bereits richterlich zu bewilligen, meinte Manquet bei der Verhandlung vor dem VfGH. Allein im Jahr 2009 kam es aber zu 13.000 Sicherstellungen, das war für die Richterschaft nicht mehr zu stemmen. Auch das will Edtstadler nicht gelten lassen. Beschuldigtenrechte könnten nicht an den Ressourcen der Justiz ausgerichtet werden.

Dabei kann sich Österreich, was Beschuldigtenrechte angeht, sehen lassen: Die Staatsanwältin Ingrid Maschl-Clausen, die Österreich bei der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) vertritt, erzählte vor Kurzem, dass ihr kein anderes EU-Land bekannt sei, in dem man so viele Rechtsmittel gegen Ermittlungshandlungen habe.

Politischer Streit vergiftet das Klima

Nicht leichter wird die Diskussion durch eine aufgeladene politische Stimmung. Die Regierungsparteien ÖVP und Grüne wollen unterschiedliche Dinge. Dass die ÖVP zuerst gegen Ermittlungsbehörden agitierte und dann Beschuldigtenrechte stärken wollte, als Ermittlungen gegen Teile des türkisen Machtzirkels liefen, sorgt für einen schalen Beigeschmack. Das ist auch Verfassungsministerin Edtstadler bewusst, die es nie unbetont lässt, dass es nicht um die Korruptionsfälle der ÖVP gehe. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka lud trotzdem mehrmals zu Veranstaltungen, bei denen die Vortragenden und Diskutanten doch meist Schlagseite hatten. Anwälte von Beschuldigten, Gutachter der ÖVP und Ex-Richter, die im Hintergrund Litigation-PR machen. Dazu nur ein oder zwei Gegenstimmen.

Die ÖVP macht eine Änderung der Strafprozessordnung zur Bedingung des grünen Bestrebens, eine Bundesstaatsanwaltschaft einzuführen. Geht es nach der ÖVP, kommt eine von der Politik gelöste Weisungsspitze nur bei einem Gesamtpaket, in dem ein Zitierverbot aus Akten, ein Kostenersatz bei Freispruch und eben eine Verschärfung der Sicherstellung und Auswertung mit dabei sind. Still wurde es dafür um die kurzzeitige Forderung der Rechtsanwaltskammer, eine Handy-Auswertung an die Schwere der Straftat zu knüpfen. Bei kleineren Delikte im digitalen Raum könnten Ermittler keine Sicherstellung vornehmen, wie etwa bei unberechtigten Fotos. Upskirting wäre damit de facto nicht mehr verfolgbar. Von dieser Beschränkung dürfte sich Edtstadler nach anfänglicher Zustimmung aber wieder verabschiedet haben.

Mächtigere Werkzeuge für die Terrorprävention

Die Krux mit dem Umgang von Mobiltelefonen könnte man auch Omar Haijawi-Pirchners Lieblingsthema nennen: Der Chef der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) beschäftigt sich viel damit. Seine Behörde will einen besseren Zugriff auf Chatnachrichten. Eine Sicherstellung geht ihm nicht weit genug. Derzeit kann man Chats nur nachlesen, also wenn Behörden ein Handy sichergestellt haben. Für die DSN ist das zu spät. Verhindern lässt sich dann nichts mehr, nur noch im Nachhinein aufklären, so seine Argumentation. Die DSN will nach richterlicher Erlaubnis aber mitlesen können. Dafür bräuchte es einen Staatstrojaner.

Der womöglich vereitelte Anschlag auf die Pride-Parade vergangene Woche zeigt das Problem gut auf: Man wartete mit dem Zugriff so lange wie möglich in der Hoffnung, "gerichtsverwertbare" Informationen zu finden. Man wollte die Verdächtigen möglichst lange miteinander chatten lassen, damit sie Explizites sagen. Laut Haijawi-Pirchner habe nie eine Gefahr bestanden, weil die drei Verdächtigen "engmaschig" überwacht worden seien.

Auch bei einem anderen Detail kommt es wohl auf den Blickwinkel an: Die Information über einen möglichen Anschlagsplan war von einem ausländischen Partnerdienst gekommen. Der 17-jährige Verdächtigte war allerdings schon kurz davor ins Visier der Behörden geraten - ebenfalls durch einen Hinweis eines Partnerdienstes. Stellt sich die Frage, ob man damals mit einer Sicherstellung zum gleichen Verdacht hätte kommen können.

Man sei der einzige europäische Dienst, dem der gesetzliche Rahmen fehle, um verschlüsselte Kommunikation über Apps wie WhatsApp, Signal und Telegram überwachen zu können, hört man vom Staatsschutz. Das macht Österreich abhängiger von ausländischen Diensten. Auch beim Attentäter vom 2. November 2020 gab es schon im Vorfeld Hinweise ausländischer Behörden, dass er versuche, an Waffen zu gelangen. Nur machte Österreichs Staatsschutz aus diesen Hinweisen nichts.