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Das Pakistan der guten Taliban

Von WZ-Korrespondentin Agnes Tandler

Politik

Das Militär kehrt nach dem Schulmassaker wieder auf die politische Bühne des Landes zurück.


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Islamabad. Pakistans Armeechef Raheel Sharif demonstrierte gleich nach dem Schulmassaker Entschlossenheit: "Mehr als 3000 Terroristen sollen in den kommenden 48 Stunden hängen", twitterte der Armeechef nur einen Tag nach dem Terroranschlag der Taliban auf die vom Militär geführte Schule in Peshawar vor eineinhalb Wochen. "Ich habe Premierminister Nawaz Sharif aufgefordert, alle Terroristen zu hängen." Wenig später setzte Pakistans Regierungschef Sharif diesen Befehl pflichtschuldig um und führte die Todesstrafe für Terroristen wieder ein; nur 48 Stunden später wurden die ersten beiden zum Tode verurteilten Gefangenen gehängt. Es folgte die Hinrichtung weiterer vier Männer. In den kommenden Wochen sollen weitere Exekutionen folgen. Pakistan, das ist wohl die intendierte Botschaft dieser Exekutionen, macht endlich gegen Terroristen im eigenen Land mobil.

Erstaunlich lange hatte sich Pakistans mächtiger Armeechef dezent im Hintergrund gehalten und der zivilen Regierung des Landes öffentlich den Vortritt gelassen. Doch schon wenige Stunden nach dem grauenvollen Schulmassaker mit über 132 toten Schulkindern ließ der 58-jährige Vier-Sterne-General keinen Zweifel daran, wer in Pakistan die Hosen anhat. Als der oberste Militär den Regierungschef in sein Hauptquartier zitierte, lauschte ein zerknirscht dreinschauender Premier den Ausführungen des Generals über dessen diplomatische Blitzreise nach Afghanistan.

Todesurteile vonArmeechef unterzeichnet

In Afghanistan hatte der General mit Afghanistans Präsident Ashraf Ghani über gemeinsame Militäraktionen gegen die islamistischen Aufständischen beraten und verlangt, dass der mutmaßlichen Drahtziehers des Schulmassakers, Mullah Zabihullah, ausgeliefert wird, der sich im Osten Afghanistans versteckt halten soll. Diese Aufgabe wäre eigentlich dem Regierungschef des Landes vorbehalten gewesen, doch der Premier wurde zu einer Randfigur des hektischen Geschehens. Pakistans Militär hat damit wieder das politische Ruder der islamischen Republik übernommen und die zivile Regierung zu einer Verwaltungsstelle des Militärs degradiert.

Die vollstreckten Todesurteile waren bezeichnenderweise allesamt von General Sharif abgezeichnet worden. Die vom Gesetz vorgeschriebene Frist von 14 Tagen zwischen dem Vollstreckungsbefehl und dem Gang zum Galgen schien niemanden mehr zu interessieren. Am Freitag einigte man sich auf die erneute Einrichtung von Militärsondergerichten, sogenannten "Anti-Militär-Tribunalen", um Terroristen rascher verurteilen zu können, ohne die vorgeschriebenen Fristen und Einspruchsverfahren eines zivilen Gerichtes.

Sanfte Machtübernahmeim Verborgenen

Angesichts des entschieden geführten Terrorkampfes blieb diese sanfte Machtübernahme der Armee vielen verborgen: Die Opfer des Attentats waren noch nicht begraben, als Pakistans Luftwaffen bereits Stellungen der Taliban in der Nähe von Peshawar bombardierten.

Regierung und Militärspitze sprachen sich für "null Toleranz" gegenüber jeder Form von "Terrorismus und Extremismus" aus. "Genug ist genug, nun werden wir entschlossen gegen all diejenigen vorgehen, die Terroristen in Schutz nehmen", erklärte der Armeechef nur Stunden nach dem Attentat auf Twitter. Pakistans Militär hat sein Doppelspiel mit dem islamischen Fundamentalismus zu einer wahren Kunst gemacht. Über zwei Dekaden hat das Land islamistische Kämpfer als Vehikel benutzt, um sich Einfluss in den Nachbarländern zu sichern. Radikal-islamische Terroristen aus Pakistan verübten eine Reihe spektakulärer Anschläge in Indien - etwa auf das indische Parlament 2001. Und im Nachbarland Afghanistan unterstützte Pakistan in den 1990er Jahren das Taliban-Regime. Das spirituelle Oberhaupt der Taliban, Mullah Omar, soll seit Jahren in der pakistanischen Stadt Quetta leben - ähnlich wie Al-Kaida-Chef Osama bin Laden, der erst 2011 von US-Spezialtruppen in der Garnisonsstadt Abbottabad getötet wurde - nur einen Steinwurf von Pakistans wichtigster Militärakademie entfernt. Islamabad bestreitet offiziell, von dessen Verbleib gewusst zu haben, obwohl der Terrorchef mitten in einer Armeesiedlung wohnte.

Militär unterscheidet zwischen guten und schlechten Taliban

Bei seinem Antiterrorkampf unterschied Pakistans Armee bislang stets zwischen den nützlichen und unnützen Islamisten, den guten und den schlechten Taliban. Und das Militär sendete bereits einige Signale aus, dass es nicht gedenkt, sich so schnell von seiner altbewährten Strategie zu verabschieden. Nur Stunden, nachdem General Sharif erklärt hatte, alle Terroristen müssten am Galgen hängen, entließ ein Gericht in Islamabad Lashkar-e-Toiba-Kommandeur Zaki-ur Rahman Lakhvi gegen Kaution aus der Haft. Lakvi wird beschuldigt, Drahtzieher eines Anschlages im indischen Mumbai 2008 mit über 160 Toten gewesen zu sein.

Am selben Tag löste die Polizei in Islamabad eine Demonstration vor der Roten Moschee gegen den islamischen Hardliner und Chef der Moschee auf und nahm die Protestierenden fest. Maulana Abdul Aziz hatte es aus Sympathie zu den Taliban abgelehnt, die Ermordung der über 130 Schulkinder in Peshawar zu verdammen. Erst drei Tage später konnte es sich dazu durchringen, den grausamen Terrorakt zu kritisieren, nachdem die Demonstrationen vor seiner Moschee trotz Einsatz der Polizei nicht versiegten.