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Das Parade-Einwanderungsland hat ähnliche Sorgen wie die EU

Von Georg Friesenbichler

Analysen

Diese Sorgen hätten die europäischen Staaten wohl gerne. In unseren Breiten wird über die Plage des Geburtenrückgangs geklagt, weil dadurch die Sozialsysteme zusammenbrechen könnten. So gesehen müssten die US-Amerikaner über ihre wachsende Population eigentlich jubeln. Sie tun es aber nicht.


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Bevölkerungsforscher machen eine Reihe von Gründen für die höhere Geburtenfreudigkeit der Amerikanerinnen verantwortlich: das größere Vertrauen in die Zukunft, das größere Platzangebot oder auch religiöse Werte, die vor allem im traditionell orientierten Mittleren Westen eine Rolle spielen. In größeren Städten hat sich die Lebenseinstellung hingegen gewandelt, wodurch es insgesamt in den USA heute mehr Haushalte von Unverheirateten als von Verheirateten gibt.

Trotz des allmählichen Wandels scheint der Drang zum Kind in den USA ungebrochen: Europas Frauen bekommen durchschnittlich 1,47 Kinder, in den USA liegt die Geburtenrate bei 2,1 - ein Wert, der laut Experten die Einwohnerzahl stabil halten würde.

Das darüber hinausgehende Wachstum wird der Einwanderung zugeschrieben. Und obwohl die Vereinigten Staaten sich stets als Einwanderungsland gesehen haben, ist das Thema ähnlich umstritten wie auf dem Alten Kontinent, wo sich die meisten Staaten gegen eine solche Bezeichnung wehren.

Vor allem die Neuankömmlinge aus der Mitte und dem Süden des amerikanischen Kontinents, besonders aus Mexiko, bereiten Sorgen. Die traditionell meinungsbildende Schicht der WASP (White Anglo-Saxon Protestants) fürchtet einen grundlegenden Wandel der Gesellschaft. Der Harvard-Professor Samuel Huntington hat seiner These vom Kampf der islamischen und westlichen Kulturen eine ähnliche nachgeschoben, in der er einen solchen Kulturkampf auch in den USA selbst toben sieht, mit den "Hispanics" als Gegnern.

Viele der Immigranten sind illegal ins Land gekommen, sind arm und kaum ausgebildet. Damit werden sie auch von sozial schwächeren weißen Schichten als Bedrohung empfunden. Der Wirtschaft hingegen sind sie willkommen. Viele Bereiche würden in sich zusammenbrechen, wenn die Einwanderer, die sich zu geringen Löhnen verdingen, nicht wären. Aber auch in Hi-Tech-Branchen geht die Angst vor Jobverlust durch Ausländer um, etwa in der IT-Branche.

US-Präsident George W. Bush hat ein Gesetz vorgeschlagen, dass einen Teil der Immigranten unter strengen Auflagen legalisieren würde. Die Beschlussfassung ist bisher gescheitert, weil die Kontroversen quer durch die Parteien gehen.

Die Debatte erinnert in vielen Einzelheiten an jene in Europa, etwa um die umstrittene Legalisierung von Einwanderern. Die USA haben einen solchen Akt schon 1986 vollzogen, Spanien und Italien folgten nach; alle brachten sie das Problem nicht unter Kontrolle. Anders als in den USA die Mexikaner bilden aber etwa Nicht-EU-Bürger noch keinen festen, wenn auch illegalen, Bestandteil des Arbeitsmarktes. Und anders als die USA haben die Europäer mit der Kurve der Bevölkerungsentwicklung zu kämpfen, die nach unten weist. Sie hätten also noch mehr Grund als die Amerikaner, Regeln für gezielte Einwanderung zu erstellen. Im Vordergrund stehen allerdings Abwehrmaßnahmen - längerfristige Lösungen stecken im Nachdenkprozess fest.