Zum Hauptinhalt springen

Das Paradoxon der Krönungszeremonie

Von Melanie Sully

Gastkommentare
Melanie Sully ist Politologin. Die gebürtige Britin forscht und lebt in Österreich.
© Philipp Bergermayer

Die britische Monarchie hat zum größten Teil ihre Zukunft hinter sich.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die britische Monarchie, das einstige Weltreich - heute der Commonwealth - bildet gemeinsam mit der Kirche von England das Fundament der Nation. Doch sie hat zum größten Teil ihre Zukunft hinter sich. Die Symbole der Macht - Reichsapfel, Zepter, Schwert, Ring - sind machtlos. Der König hat Autorität und Einfluss, aber wenn niemand zuhört, bleibt er ein Monarch ohne Stimme. Und im Vereinigten Königreich darf der König die Regierung nicht offen kritisieren. Umgekehrt darf aber auch kein Abgeordneter im Unterhaus die Monarchie frontal angreifen. Die

Kirche und das Weltreich, zu dem sie gehört, sind geschrumpft.

Die heutige Krönungszeremonie verkörpert ein Paradoxon. Wie ein Janus-Kopf blickt sie nach vorne und zurück. Sie ist modern und gleichzeitig altmodisch. Es ist mystisch, fast katholisch, und zugleich heidnisch. Auf den Einladungskarten ist ein mythischer Grüner Mann zu sehen, ein heidnisches Symbol für einen Neubeginn.

Nun, Charles III. hat schon mehrfach bewiesen, dass er ein Grüner ist. Und der neue König ist auch weltoffen, wie seine zahlreichen Reisen belegen. Überhaupt ist das Vereinigte Königreich multikulturell: Der aktuelle ist ein Hindu mit Migrationshintergrund, Schottlands Erster Minister ist ein Muslim, ebenfalls aus einer Einwanderungsfamilie. Charles selbst hat in einem jüdischen Kulturzentrum getanzt und mischte sich immer gern unters Volk, während sein Sohn Harry seinen Wohnort in England verloren hat. Er bleibt aber für Charles ein Mitglied der Familie und wurde zur Krönung eingeladen. Seinem älteren Sohn William hat er sehr schnell den Titel Prince of Wales verliehen und seine Geschwister Anne und Edward zu Staatsräten ernannt, die ihn und Camilla vertreten, wenn sie außer Landes sind. Ansonsten tut der König, was ein Monarch immer tut. Er hat den ukrainischen Präsidenten ebenso empfangen wie die EU-Kommissionspräsidentin, und er unterstützt die Zivilgesellschaft, etwa in seiner Weihnachtsansprache.

Nun wird der König gesalbt, und das Volk vor den TV-Bildschirmen ist aufgerufen, einen Treueid zu schwören. Nach der Krönung ist vor der Krönung. Es wird groß gefeiert. Das kostet etwas, aber man gönnt sich ja sonst nichts. Alle, egal welcher Religion, welche Herkunft, welcher Klasse, sollen diesen Tag zelebrieren. Und es gibt begeisterte Anhänger der Monarchie, die selber nichts haben. Das war immer so. Die alte Arbeiterklasse hat schon immer vom Empire profitiert. Sie war Opfer und zugleich Täter. Schottland hat auch von der Sklaverei gelebt. Für eine kurze Momentaufnahme kommen viele widersprüchliche Gruppen zusammen. Die Monarchie kann für einige Tage als Integrationsmodell fungieren, bevor wieder der Alltag Einzug hält im Leben der Briten.

Es stimmt schon, die junge Generation kann nicht sehr viel anfangen mit der Monarchie. Aber sie werden älter, und Meinungen können sich ändern. Liz Truss, kurze Zeit konservative Premierministerin, wollte als junge Politikerin die Monarchie abschaffen. Ebenso der frühere Labour-Chef Jeremy Corbyn, aber auch er spricht jetzt nur noch von Reformen statt von einer Abschaffung der Monarchie.