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Die EU als Friedensprojekt ist sympathisch, aber in einer gewalttätigen Welt auch eher hilflos.
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Während an der Grenze Polens zu Belarus tausende "Schutzerflehende" mit Bolzenschneidern, schweren Zangen und Sägen den Grenzzaun attackierten und teilweise niederrissen, reagierte die EU genauso, wie es zu erwarten war. Ratspräsident Charles Michel reiste nach Warschau, um die Solidarität der EU mit Polen zu demonstrieren; was in der Realität eine Art politischer Luftballon ohne Hülle ist. Nahezu zeitgleich verlangte Manfred Weber, Chef der christdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, die EU müsse sich an der Finanzierung von Grenzbefestigungen beteiligen; die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hingegen lehnte genau das strikt ab. Und auch in der kleinen, aber nicht unwichtigen Frage, gegen welche Personen, Firmen und Institutionen die EU weitere Sanktionen verhängen wird, gibt es wenig Einigkeit, schließlich geht es da um Werte, also ums Geld.
Wer solche Verbündeten hat, hat ernsthaften Grund zur Sorge. Oder wie US-General George S. Patton am Ende des Zweiten Weltkrieges einmal süffisant bemerkte: "Mir ist lieber eine SS-Panzerdivision gegenüber als eine unserer französischen Verbündeten an meiner Seite." Heute kann man "französisch" getrost durch "europäisch" ersetzen. Vermutlich muss, ehe sich Europa einigt, ob und wie es seine Außengrenze gegen einen gewaltsamen Angriff von weißrussischem Territorium abwehrt, erst geklärt werden, welcher CO2-Ausstoß mit der Errichtung von Grenzsperren verbunden ist, ob die Anweisungen für die Grenzschützer in gendergerechter Sprache geschrieben sind und für ausreichende Diversität des Personals gesorgt ist. Das sind ja unsere primären Sorgen.
Doch leider wird hier in Umrissen ein viel größeres, bedrohlicheres Problem sichtbar: Europa sieht sich zunehmend geopolitischen Antagonisten wie China und Russland, aber auch der Türkei oder dem Iran gegenüber, die völlig befreit von ethischen oder auch nur völkerrechtlichen Restriktionen und Bedenken permanent testen, wo sie welche Grenzen zu welchen Kosten überschreiten können. Und die, wenn sie zur Überzeugung kommen, dass der Nutzen den Preis wert ist, manchmal entsprechend militärisch handeln.
Russlands Krim-Annexion und die Teilbesetzung der Ostukraine waren ebenso Beispiele dafür wie Chinas De-facto-Annexion von Hongkong. Taiwan könnte folgen; und auch die östliche Grenze der EU ist nicht so sicher, wie manche Träumer glauben. Dabei geht es nicht nur um "Weltpolitikfähigkeit" (Zitat Ex-EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker), der Wurm sitzt tiefer. Denn die EU wurde ja, als verständliche Reaktion auf den Weltkrieg, als Friedensprojekt gegründet; der Pazifismus steckt ihr in den Knochen, und noch weniger als zur Weltpolitik ist sie zum militärischen Konflikt befähigt; weder institutionell noch mental.
Das ist unglaublich sympathisch, aber leider in einer rundum gewaltbereiten und gewalttätigen Welt keine sehr erfolgversprechende Strategie. Solange die Europäer das nicht begreifen - und vor allem die Konsequenzen daraus ziehen -, werden sich die Bösewichte durchsetzen.