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Das Phänomen der Koalition in Österreich

Von Heinz Fischer

Gastkommentare
Heinz Fischer war jüngst zur Blattkritik in der Redaktion der "Wiener Zeitung" zu Gast (im Bild mit Chefredakteur Reinhard Göweil).
© WZ

Alt-Bundespräsident Heinz Fischer über die Geschichte der österreichischen Bundesregierungen und den Zustand der Demokratie.


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Als mich die "Wiener Zeitung" eingeladen hat, von Zeit zu Zeit Kommentare zu aktuellen Ereignissen oder Entwicklungen zu schreiben, habe ich gerne zugesagt. Die Demokratie lebt von der Meinungsvielfalt, und es macht mir Freude, zu dieser Meinungsvielfalt in sachlicher Weise beizutragen.

Das erste Thema, dem ich mich widmen wollte, war das Phänomen der Koalition in Österreich. Mit großer Deutlichkeit ist erkennbar, dass die starke Rolle, die die Koalition zwischen Sozialdemokraten und Christdemokraten in der Zweiten Republik bisher gespielt hat, aus dem Scheitern der Ersten Republik erklärbar ist.

Eine große Koalition hat es in der Ersten Republik nur eineinhalb Jahre lang gegeben, nämlich vom Ende der Monarchie im Herbst 1918 bis zum Frühsommer 1920. Dann ist diese Koalition am 10. Juni 1920 gescheitert, und eine Spirale der Entfremdung (bis hin zu erbitterter Feindschaft) zwischen Christdemokraten plus Heimwehr und Sozialdemokraten plus Schutzbund hat eingesetzt. Am Ende standen der Verfassungsbruch, die Ausschaltung des Nationalrates und der Bürgerkrieg.

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Um eine Wiederholung einer solchen Tragödie zu vermeiden - und geläutert durch die Zeit des Nationalsozialismus, des Führerstaates und eines entsetzlichen Krieges - hat man 1945 die Weichen in Richtung einer langfristigen, stabilen Zusammenarbeit der beiden großen Gründungsparteien der Zweiten Republik gestellt.

Im Jahr 1966 - also nach 21 Jahren großer Koalition - hat das System der Zweiten Republik seine "Reifeprüfung" abgelegt: Die absolute Mehrheit der ÖVP hat Bundeskanzler Josef Klaus die Bildung einer Alleinregierung ermöglicht und die Befürchtungen jener (zu denen bekanntlich auch Bruno Kreisky gehörte), die Sorge hatten, dies könnte zu einem Rückfall in das Klima der Ersten Republik führen, haben sich als grundlos erwiesen. Das demokratische Prinzip und der Parlamentarismus waren gefestigt und sind unangetastet geblieben.

Das gleiche Zeugnis konnte man der anschließenden Einparteienregierung von Bruno Kreisky in den Jahren 1970 bis 1983 ausstellen. In weiterer Folge (1983 bis 1987) hat es auch eine rot-blaue Regierung unter Bundeskanzler Fred Sinowatz und Vizekanzler Norbert Steger gegeben, die allerdings beendet wurde, als FPÖ-Obmann Steger den Machtkampf gegen Jörg Haider verloren hat und von 2000 bis 2006 eine Koalitionsregierung von ÖVP und FPÖ (beziehungsweise BZÖ) an die Macht gekommen ist.

Die große Koalition weist Ermüdungserscheinungen auf

In der Zwischenzeit ist die Zweite Republik vor wenigen Wochen in ihr 73. Lebensjahr eingetreten. Fast zwei Drittel dieser alles in allem sehr erfolgreichen Periode hat sich die österreichische Bundesregierung auf eine Koalition der beiden größten Parteien gestützt.

Dieses System weist heute unübersehbare Ermüdungserscheinungen auf, wobei es aber falsch wäre, so zu tun, als ob Koalitionsstreit, Koalitionsrempeleien und Koalitionsmüdigkeit erst ein Phänomen der jüngsten fünf oder zehn Jahre wären. In Wahrheit war die rot-schwarze Koalition spätestens seit dem Staatsvertrag immer ein Zweckbündnis, in dem es harte Auseinandersetzungen, heftigen Streit und böse Konflikte gegeben hat.

Ich würde sagen, das Klima in der Koalition ist - von der allerjüngsten Phase abgesehen - in den vergangenen Jahrzehnten kaum schlechter geworden (und jenes zwischen Kanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner vielleicht sogar besser als bei manchem anderen Regierungsduo), aber die große Koalition ist aufgrund der strukturellen Entwicklungen in der Zweiten Republik eben nicht mehr "groß", sondern wesentlich kleiner geworden, die Notwendigkeit zur Bildung einer Koalitionsregierung ist geringer geworden und die Varianten für eine Regierungsbildung sind bunter geworden.

Eine sensible Phase aufdem Weg zu Neuwahlen

In diesen Tagen wurde also das Scheidungsverfahren eingeleitet, und aus den Abschiedsworten von Vizekanzler Mitterlehner war auch klar ersichtlich, von wem die Weichen in Richtung einer vorzeitigen Beendigung dieser Koalition gestellt wurden.

Wenn wir mit dem Phänomen der Koalition in Österreich fair umgehen, dann müssen wir sagen: Sie hat diesem Land über lange Zeit hindurch gute Dienste, vielleicht sogar ausgezeichnete Dienste geleistet - aber sie erscheint auch mir, der ich mich immer bemüht habe, die Zusammenarbeit zwischen den beiden großen Parteien zu unterstützen, nicht unersetzbar.

Allerdings steht uns jetzt eine sensible Phase auf dem Weg zu Neuwahlen bevor. Und da besteht die Gefahr, dass mehr politisches Porzellan zerschlagen wird, als unserem Land guttun kann.

Außerdem liegt noch eine zweite Frage auf dem Tisch: In der ÖVP hat sich in den vergangenen Jahren offensichtlich die Erkenntnis gefestigt, dass der jeweilige Parteiobmann innerparteilich allzu leicht unter die Räder von divergierenden Interessen der Landesparteien und der Bünde kommen kann. Daher will der neue ÖVP-Obmann Sebastian Kurz mit Vollmachten ausgestattet werden, die ins andere Extrem führen könnten.

Dass der Bundeskanzler - und im Falle einer Koalitionsregierung auch der Mann beziehungsweise die Frau an der Spitze des Koalitionspartners, also der Vizekanzler - das entscheidende Wort bei der Zusammensetzung "seiner" beziehungsweise "ihrer" Regierungsmitglieder haben muss, ist einleuchtend und internationale Praxis. Dass aber der Obmann einer Partei darüber hinaus zentral entscheiden kann, wer zwischen Bodensee und Neusiedler See für diese Partei für das Parlament kandidiert, ist hingegen eindeutig nicht internationale Praxis in funktionierenden Demokratien.

Es verdient registriert zu werden, dass der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer seine Zustimmung "mit Bauchweh" signalisiert und der ehemalige ÖVP-Obmann Josef Riegler dies als "demokratiepolitisch nicht ganz unproblematisch" bezeichnet hat. Da hat er nicht Unrecht.

Abhängigkeit der Abgeordneten von der Parteiführung

Es gibt verschiedene Schwachstellen in unserer demokratischen Praxis, und eine davon ist zweifellos in allen Parteien, dass die einzelnen Abgeordneten oft in zu hohem Maße von der jeweiligen Parteiführung abhängig sind. Damit wird auch das Konzept des freien Mandats und der Gewaltenteilung zwischen Regierung und Parlament - wie jeder weiß - geschwächt oder sogar um seine Wirksamkeit gebracht. Jetzt aber die Abhängigkeit der einzelnen Abgeordneten aus ganz Österreich von ihrem Landeshauptmann noch durch eine über die bisherige hinausgehende zentralistisch und statutenmäßig festgeschriebene Abhängigkeit zu ergänzen, ist meines Erachtens kein Schritt in die richtige Richtung.

Der Politikwissenschafter Fritz Plasser ist zu diesem Thema kürzlich gefragt worden, ob diese Zentralisierung der Macht nicht eine Beschränkung der innerparteilichen Demokratie zur Folge hätte; und seine Gegenfrage lautete: "Was genau soll da beschränkt werden?" Wenn damit zum Ausdruck gebracht werden soll, dass es schon derzeit zu wenig innerparteiliche Demokratie gebe und es daher auf einen weiteren Schritt in die falsche Richtung auch nicht mehr ankomme, dann kann das nicht als ernsthafte Antwort akzeptiert werden.

Es ist nicht meine Absicht, die Diskussion über die innere Verfassung einer traditionsreichen, österreichischen Parlamentspartei auf die juristische Ebene zu verlagern, aber auch die Verfassungsbestimmungen im Parteiengesetz, die den politischen Parteien (und deren Statuten) eine zentrale Rolle im demokratischen System einräumen, sollten bei Entscheidungen dieser Art mitbedacht werden. Die nächsten Wochen und Monate werden jedenfalls von allen handelnden Personen viel Augenmaß und Verantwortungsbewusstsein erfordern.

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Heinz Fischer wurde 1938 in Graz geboren. Von 2004 bis 2016 war er österreichischer Bundespräsident. Davor war er ab 1971 Abgeordneter der SPÖ zum Nationalrat (ab 1975 Klubobmann), von 1983 bis 1987 Wissenschaftsminister und von 1990 bis 2004 zunächst Erster und dann Zweiter Nationalratspräsident. Von 1992 bis 2004 war er auch stellvertretender Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Europas.

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