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Das pietätlose Ende der Pietät

Von Engelbert Washietl

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Der Autor ist Vorsitzender der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor Wirtschaftsblatt, Presse, und Salzburger Nachrichten.

Hans Dichand hat so wie jeder Sterbliche eine Menge Unerledigtes hinterlassen. Aber warum wird schon aufgeräumt, ehe er begraben ist?


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Jede Zeit hat ihr eigenes Gefühl für Schicklichkeit. Das bezieht sich auch auf den Umgang mit den Toten. Das Ableben des "Kronen Zeitung"-Chefs Hans Dichand ist ein Anlass nachzudenken, wie weit wir es damit gebracht haben.

Was seit Donnerstag über Dichand gesagt und geschrieben wurde, zeigt jedenfalls eine Veränderung im Taktgefühl. Man kann es sogar positiv sehen: Da ist mehr Ehrlichkeit drin. In kaum einem Nachruf wurde unterschlagen, dass das Lebenswerk Dichands schon immer scharfe Kanten hatte, an denen man sich verletzen konnte. Warum sollte man nicht aussprechen, was jeder weiß? Das ist nichts anderes als eine

Auseinandersetzung von Mensch zu Mensch: So war er, und in dieser Beschaffenheit ist er auch ein Teil von uns allen.

Die Politiker sind da noch am wenigsten auf der Höhe der Zeit. Weil sie sich genötigt fühlen, etwas zu sagen, nehmen sie altbewährte Formeln zur Hand, also das, was man eben so sagt. Bewährt sind politische Formeln deshalb, weil sie ohne Festlegung alles offen lassen, auch dass Ungesagtes einmal doch noch näher ausgeführt werden könnte, wenn der Grabdeckel zu ist.

Die Medien verursachen den Wandel nicht, aber sie transportieren ihn, indem sie ihr professionelles Geschäft betreiben. Da legte doch ein Mächtiger, der diese Zeitung gegründet, zum Höhepunkt geführt und fünf Jahrzehnte geleitet hatte, die Zügel aus der Hand. Was wird jetzt? Man wird wohl fragen dürfen.

Wer fragt, kriegt allerdings vielleicht auch Antworten. Und prompt poltern die Manager der deutschen WAZ-Verlagsgruppe, die einen 50-Prozent-Anteil an der "Krone" zu hüten haben, voll in Rituale hinein, die üblicherweise dem Füllen von Kondolenzbüchern gelten. Sie möchten die "Krone" ganz haben, auf jeden Fall aber einen geschäftsführenden Chefredakteur neben jenem Chef, den der alte Dichand eingesetzt hat - seinen Sohn. Musste diese Debatte innerhalb von 24 Stunden nach Herzstillstand vom Zaun gebrochen werden? In diesem Thema steckt die Niederlage der WAZ als Gesellschafter, der vor Jahren zuerst einen Chefredakteur Christoph Dichand verhindern und dann wenigstens durch einen "Geschäftsführenden" entmachten wollte. Beides misslang. Jetzt ist das Thema voll da, und manch anderes noch dazu. Und schon gehen die Streitparteien via Medien gegeneinander in Stellung.

Solange der alte Mann im 16. Stockwerk in der Wiener Muthgasse noch am Werk war, hat er bei manchen, die mit ihm zu tun hatten, offensichtlich bleibende Wunden verursacht. Auch bei österreichischen Partnern. Der Ex-Herausgeber des "Kurier", Peter Rabl, lässt nach Dichands Ableben gleich die ganze Republik "durchatmen".

In der Chronologie dessen, was "am offenen Grab" abläuft, hat die Familie Dichand bisher bloß reagiert und am Samstag bekannt gegeben, dass sie der WAZ keine Anteile verkaufe und Hans Dichands Nachfolge "familienintern längst geregelt" sei.

Ist das, was um Dichands Tod bisher geschah, bereits pietätlos? Hat es die Chefredakteursrunde im ORF am Sonntag stellenweise vielleicht zu heiter genommen? Wenn in dieser Diskussion die "Krone" als Abbild soziologischer Schichten bezeichnet wurde - vielleicht bildete sie im historischen Augenblick des Führungswechsels auch eine Veränderung von Grundeinstellungen der Menschen ab?

Wenn das heißen sollte, dass Pietät verloren zu gehen scheint, dann ereignet sich auch das bloß nebenbei. Man könnte fast sagen: pietätlos.

Der Autor ist Sprecher der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor "Wirtschaftsblatt", "Presse" und "Salzburger Nachrichten".