Die iranischen Parlamentswahlen am Freitag bedeuten den sicheren politischen Untergang des Reformlagers um Präsident Mohammed Khatami. Nach dem Ausschluss der meisten reformorientierten Kandidaten durch den allmächtigen Wächterrat ist die Wahlbeteiligung der einzige Parameter zur Beurteilung des Rückhalts des konservativen Klerus in der Bevölkerung geblieben. Einige der Reformer müssen nach Verlust ihrer parlamentarischen Immunität mit Haftstrafen rechnen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Da der mächtige Wächterrat, der nur dem obersten geistlichen Führer Ayatollah Ali Khamenei Rechenschaft schuldet, gut 2.500 reformorientierte Kandidaten - davon über 80 bisher amtierende Parlamentarier - ausgeschlossen hat, ist der Sieg der Konservativen bei den Parlamentswahlen im Iran eine ausgemachte Sache.
Nicht nur der Vorsitzende der größten Reformpartei, Reza Khatami, der die Wahlen als eine "Farce ohne Freiheit" bezeichnet, sondern auch die Bevölkerung ist desillusioniert. Von Präsident Mohammed Khatami ob seiner geringen politischen Fortschritte gegen den Widerstand des Wächterrats enttäuscht, haben sie in vielen Wahlkreisen am Freitag ohnehin nur die Wahl zwischen konservativen und ultra-konservativen Kandidaten.
Indikator Wahlbeteiligung
Der Rückhalt des herrschenden Klerus um Khamenei und seinen Wächterrat in der Bevölkerung wird somit nur über die Wahlbeteiligung messbar sein. Jüngste Umfragen rechnen mit der niedrigsten in der 25-jährigen Geschichte der islamischen Republik im Iran: 10 Prozent in den Städten und 30 bis 40 Prozent in den ländlichen Regionen werden erwartet.
Demokratie in Gefahr
Die von den Wahlen ausgeschlossenen Parlamentarier sehen jedenfalls die Demokratie im Iran in ernsthafter Gefahr, weil viele von ihnen wegen sogenannter "unislamischer Äußerungen" in Ausübung ihres Mandats sanktioniert wurden.
Es könne nicht sein, dass man im Schutz der parlamentarischen Immunität Redefreiheit habe, und nachher dafür bestraft werde, kritisiert etwa die gesperrte Reformabgeordnete Fatima Haqiqatjou. Sie fürchtet, nach dem Verlust ihrer Immunität eine Haftstrafe antreten zu müssen - für im Parlament vorgetragene Kritik am Vorgehen konservativer Kleriker. Wie werden die Gerichte dann erst mit den rund 100 Abgeordneten verfahren, die am Mittwochabend in einem offenen Brief Khamenei persönlich angegriffen haben, wenn am Freitag ihre Immunität fällt?
Zeitungen zugesperrt
"Shark" und "Jas e No", die einzigen iranischen Zeitungen, die den Brief veröffentlicht hatten, wurden jedenfalls umgehend von der Klerus-hörigen Justiz geschlossen. "Jas e No"-Herausgeber Maschallah Schamsolwaezin hatte sich vor seiner Verhaftung trotz des Siegs der Konservativen optimistisch gezeigt. Die Gewinner werden die mehr als zwei Drittel unter 30 Jahre alten Iraner nicht mit einer Kehrtwende brüskieren, indem sie hart gegen die gelockerten Kleidungsvorschriften, Satellitenantennen oder das Händchenhalten in der Öffentlichkeit durchgreifen, meinte er.
Wie geht es nun weiter? Manche Reformer kündigen bereits ihre Rückkehr über die Zivilgesellschaft an. Gemeinsam mit der Bevölkerung, die schließlich auch den Schah gestürzt hat, wollen sie abseits politischer Strukturen den Druck auf die Regierung erhöhen, bis sich diese mit dem wachsenden Widerstand konfrontiert zu einem Referendum über das politische System im Iran durchringt.
Die derzeit plausiblere Variante ist freilich des "chinesische System", dem sich der Iran durch das nach Freitag nahezu verwirklichte "Einparteiensystem" weiter annähert. Verbunden mit einer marktwirtschaftlichen Herangehensweise an die volkswirtschaftliche Krise im Land wird sich Khamenei und sein Wächterrat an der Spitze eines gut ausgebauten konservativ-islamischen Machtapparats wohl noch eine Zeit lang auf Justiz, Armee und diverse paramilitärische Organisationen stützen können.