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Das politische Ende des talentierten Mr. Kurz

Von Christina Aumayr

Gastkommentare
Christina Aumayr leitet das Beratungsunternehmen Freistil PR unter anderem mit dem Schwerpunkt Krisenkommunikation, Politik- und Unternehmenskommunikation. Geboren 1977 in Linz, hat sie Kommunikationswissenschaften, Wirtschaftspsychologie und Philosophie studiert.
© Felicitas Matern

Österreichs Bürger haben sich ihre eigene Desinformation finanziert.


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Werner Kogler ist in einer Position der Stärke. Die Strategie- und Handlungsfähigkeit von Sebastian Kurz ist Geschichte. Die Grünen setzen den ÖVP-Landeshauptleuten jetzt die Daumenanschrauben an. Bis Dienstag haben sie Zeit, so etwas wie Staatsräson zu entwickeln. Ohne deren Einsicht schlägt nach einem gemeinsamen Misstrauensantrag gegen Kurz die Stunde einer Konzentrationsregierung.

Anfänglich waren die Grünen wohl noch ein wenig naiv. Sie hofften auf Konsequenzen innerhalb der ÖVP und darauf, dass Kurz den Hut nehmen und durch eine untadelige Person an der Spitze ersetzt werden würde. Weit gefehlt. Dass Kurz und sein engstes Umfeld mit Machtmissbrauch und auf Staatskosten türkise Propaganda betrieben, hat bis dato nicht für interne Konsequenzen in der alten, schwarzen ÖVP-Riege gereicht. Eigentlich erstaunlich. Dabei wiegen die jetzigen Vorwürfe gegen Kurz und sein engstes Umfeld nicht nur strafrechtlich schwer, sie sind eine politische und moralische Bankrotterklärung.

Scheinrechnungen und Chats erwecken einen hässlichen Verdacht: Kurz und sein engstes Team sollen die öffentliche Meinung mit zugespitzten, frisierten Studien manipuliert und Jubelberichterstattung in der Gratiszeitung "Österreich" gekauft haben. Der Schaden für die Steuerzahler dieses Landes: 1,2 Millionen Steuergeld. Die Hintergründe dieses beispiellosen Kriminalfalls werden für die nächsten Jahre Ermittlungsbehörden und Gerichte beschäftigen.

Nach der Schockstarre galt das Führerprinzip

Dennoch versammelte sich nach einem Moment der Schockstarre die gesamte ÖVP-Garde geschlossen hinter Kurz - noch. Denn was der moralische Anspruch nicht zu regeln vermag, erledigt vielleicht der machtpolitische Überlebenstrieb. Das anfängliche Kalkül der Türkisen war: Brechen die Grünen jetzt Neuwahlen vom Zaum, geht Kurz eben ein drittes Mal als Märtyrer in die Wahl und holt zumindest Platz eins für die ÖVP. Ein geeintes Vorgehen von SPÖ, FPÖ, Neos und Grünen in einer Konzentrationsregierung hielten die Türkisen offenbar für illusorisch und setzten stattdessen auf "Kurz - mein Kanzler". Treffender wäre ja "Kurz - mein Opfer".

Dass sich die ÖVP-Minister geschlossen hinter Kurz versammelten, überraschte nicht. Auf uneingeschränkte Loyalität hin wurde die Besetzung ja von Kurz vorgenommen. Dass sich ein unabhängiger Experte wie Arbeitsminister Martin Kocher für dieses plumpe Schauspiel hergab, ist ernüchternd.

Doch das Momentum, das die ÖVP-Landesfürsten aus der Hand gaben, nutzen jetzt die Grünen. Das Ultimatum lautet: Bis Dienstag ist Kurz durch eine untadelige Person zu ersetzen, andernfalls drohen ein gemeinsamer Misstrauensantrag und die Bildung einer Konzentrationsregierung. Was alle Parteien eint: Niemand will Neuwahlen. Denn dann würde zwar FPÖ-Chef Herbert Kickl von Kurz frustrierte Wähler empfangen, aber auch an die MFG verlieren. Die Corona-Impfskeptiker wären bei einem Antritt im Parlament. Die Neos wären dann nicht mehr zweistellig und Pamela Rendi-Wagner als Spitzenkandidatin Geschichte: Eine weitere Wahlniederlage würde sich selbst die phlegmatische SPÖ ersparen wollen. Zudem fehlt allen Parteien das Geld für einen Wahlkampf.

Ein neuerliches "Projekt Ballhausplatz" ist illusorisch

Eine Konzentrationsregierung mit Experten auf der Ministerbank, die zumindest ein paar Monate bis ein Jahr hielte, täte hingegen der ÖVP sehr weh. Denn dieser bliebe dann die Aufklärung eines Kriminalfalles und die Opposition - nach 32 Jahren durchgängig an der Macht. Der ehemalige Superstar säße dann ohne Macht, ohne Bühne und ohne Inseratenmillionen auf der Oppositionsbank im Parlament - in einer Institution, die ihm ohnedies schwer auf die Nerven geht. Monat für Monat müsste er sich mit neuen Chats, einer Anklage und jahrelangen Gerichtsverhandlungen herumplagen.

Auch wenn niemand so gut Vermögende jenseits der 60 für sich gewinnen kann wie Kurz, ein neuerliches "Projekt Ballhausplatz" ist illusorisch. Es ist zu vermuten, dass die ÖVP-Landesfürsten übers Wochenende in sich gehen werden. Die Lehre für unser Land daraus? Es braucht eine neue Medienförderung und muss sich von der Kultur der Verhaberung und der Liebe zu Blendern und Populisten befreien. Wir müssen die Jörg Haiders, Karl Heinz Grassers und Sebastian Kurz hinter uns lassen. In Deutschland dürfte der nächste Kanzler Olaf Scholz heißen, ein staubtrockener Hanseat. Scholz steht für Verlässlichkeit und Langeweile. Die Wähler sind wieder bereit für Langeweile. Hauptsache verlässlich.