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Die deutschen Zeitungen berichten neuerdings gerne über die unkonventionellen Meinungen des Textilunternehmers Wolfgang Grupp. Talkshows und TV-Diskussionsrunden bieten ihm Gelegenheit, die deutsche Wirtschaftsentwicklung kritisch zu kommentieren. Doch sucht er die Schuld nicht bei den Gewerkschaften. Im Unterschied zu vielen seiner Kollegen beurteilt er die Globalisierung und ihre Folgen skeptisch - und er versucht in seinem eigenen Betrieb, die Qualität der heimischen Produktion zu steigern: Ansichten eines Querdenkers.
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Deutschland, Anfang März, die Stimmung im Lande ist gedrückt. Auch der Irak-Krise wegen. Aber nicht nur! Was den Deutschen mindestens so schwer im Magen liegt wie die weltpolitischen Verwicklungen, ist die wirtschaftliche Krise: Mehr als viereinhalb Millionen Erwerbslose, Insolvenzen an allen Ecken und Enden und mehr als bescheidene Wachstumsprognosen für das laufende Jahr. Die bestimmende Tonart ist Moll - überall zwischen Flensburg und Friedrichshafen. In Berlin gehen die Handwerker auf die Straße und irgendwo in Norddeutschland protestieren schon wieder die Bauern. Gejammer allüberall.
Das lang geplante Bündnis für Arbeit zwischen den Sozialpartnern liegt im Tiefkühlfach. Regierung und Opposition bekennen sich zur Zusammenarbeit und liegen in zentralen Fragen doch meilenweit auseinander. Kündigungsschutz? Lohnnebenkosten? Schnelle Spekulationsgewinne? Keiner will etwas hergeben. Keiner gibt Terrain frei. Gewerkschafts-Funktionäre müssen Rücksicht auf ihre Mitglieder nehmen. Politiker haben auf Flügelkämpfe in ihren Parteien und auf allerlei Stimmungen im Wahlvolk zu achten. Unternehmer und Manager lamentieren über zu hohe Personalkosten und Steuern. Eine Stärkung der Massenkaufkraft zur Belebung der Inlandsnachfrage wollen die einen, eine Absenkung des Lohnniveaus und der Sozialstandards zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit fordern die anderen. Nun ja, dergleichen kennen wir aus unseren Breiten...
Dünnhäutig sind die Deutschen geworden, geradezu wehleidig. Und alles, was ihnen einfällt, ist das kollektive Gejammer. Konjunktur haben vor allem Schuldzuweisungen und Selbstmitleid. Zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung scheinen die Deutschen unfähig zu sein. Den Gürtel enger schnallen? Ja, klar, das sollten wir! Aber meistens sind "wir" nur die anderen! Auch das kommt uns durchaus bekannt vor...
Unternehmer seit 30 Jahren
Einer, der zur deutschen Misere ganz eigene Ansichten hat, lebt in Burladingen auf der Schwäbischen Alb. Und vielleicht muss man gerade hier, auf der rauen Alb leben, um zu einem Querdenker in Wirtschaftsfragen zu werden. Wolfgang Grupp heißt der Mann mit den markanten Gesichtszügen und dem streng gescheitelten Haar. Grupp ist Jahrgang 1942 und lenkt seit drei Jahrzehnten die Geschicke der Trigema Inh. Wolfgang Grupp e.K. - laut Eigenwerbung Deutschlands größter Hersteller von T-Shirts und Tennisbekleidung.
Doch ein deutsches Textilunternehmen kann leicht Superlative für sich reklamieren, ist die Branche doch weitgehend von der Bildfläche verschwunden..
Sechsundzwanzig Textilbetriebe zählte man einst in Burladingen, übrig geblieben ist nur Trigema. Und Trigema produziert heute noch ausschließlich in Deutschland. Schon das alleine macht Grupp zur Ausnahmeerscheinung in einer Branche, die es in diesem Lande schon fast nicht mehr gibt. Deshalb ist das Interesse an Grupp groß, in Branchenkreisen, in den Mittelstandsorganisationen und in der Bevölkerung.
Treue zum Standort
Er selbst indessen gibt sich bescheiden und begründet die heute noch gesunde Existenz seines Unternehmens damit, dass er nur seine Pflicht getan und schon in fetten Jahren verantwortungsbewusste Entscheidungen getroffen habe. Verantwortungsvoll sei es eben auch gewesen, dem Produktionsstandort Deutschland die Treue zu halten und nicht den Verlockungen billiger Lohnkosten im Ausland zu erliegen. Genau dies habe sich bezahlt gemacht, denn jene, die mit ihrer Erzeugung ins Ausland gegangen sind, seien dadurch am Ende nicht reicher geworden. Im Gegenteil: Manch ein Textilunternehmer habe einst mit seinen teuren Mitarbeitern in Deutschland Millionen erwirtschaftet und sei erst im scheinbar billigen Ausland direkt in die Insolvenz gefahren.
In Burladingen, findet Grupp alles, was er braucht: Leistungsbereite Mitarbeiter, die die Sprache des Chefs sprechen, und wissen, wie man Qualität erzeugt. Nicht unwichtig für einen Unternehmer, der sich offenbar als einer der wenigen seiner Branche daran erinnert, dass eine vernünftige Balance von Herstellungskosten, Produktqualität und Preis eine zentrale Voraussetzung für den Markterfolg darstellt. Nicht unwichtig auch für einen Chef, der sich in seinem Unternehmen auskennt bis in die Niederungen der Fertigung.
Doch da ist noch mehr: Die kleinräumige Vereinigung von Planung, Verwaltung und Produktion in der Heimat bietet Grupp Vorteile, die andere nicht mehr zu erkennen scheinen: Sicherheit, Überblick und kurze Wege zum Beispiel. An seinem Heimatort - so der Industrielle - kenne man seine Nachbarn. Hier vermag man vorab einzuschätzen, was man von den Leuten erwarten kann. Und überhaupt: Ein Unternehmer, der sich an einem Ort durch kontinuierliches Engagement auszeichnet, darf auch darauf bauen, dass die Belegschaft nicht davonläuft, wenn die Zeiten einmal schlechter sind. Was hier zählt, ist das wechselseitige Vertrauen zwischen Unternehmer, Belegschaft und lokalem Umfeld.
Vertrauen auf Leistung
Für dieses Vertrauen tut Grupp einiges, ohne dass er dafür teure Beraterverträge abschließen müsste: Die Führungsriege der 1200 Mitarbeiter zählenden Firma wird aus den eigenen Reihen rekrutiert, und traditionsgemäß ist den Kindern der Belegschaft die Beschäftigung im Unternehmen sicher. Und noch etwas: Niemals in 33 Jahren - so Grupp - habe er einem Mitarbeiter aus Arbeitsmangel die Kündigung ausgesprochen. Im Gegenzug freilich erwartet der Firmenchef Leistung und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.
Verantwortung: Für Grupp ist dies ein Schlüsselbegriff, der sowohl das eigene Handeln, als auch die Erwartungshaltung in bezug auf andere prägt: Eine Geschäftspolitik, die sich nur an Umsatzsteigerungen und an der Ausweitung von Marktanteilen orientiert, habe ihr Ziel verfehlt. Nicht Kassierer seien gefragt, sondern echte Unternehmer, die das, was sie geerbt haben, erhalten und vermehren - nicht solche, die es ausbeuten und vernichten. Um mit gutem Beispiel voran zu gehen, hat Grupp selbst vor drei Jahren bewusst die Rechtsform seines Unternehmens verändert: Von der GmbH&Co. KG zur Einzelfirma, in der nur einer mit seinem gesamten Vermögen für alles haftet: Wolfgang Grupp. Nicht zuletzt dieser Haftung wegen, überlege er sich jede Entscheidung mehrmals.
Allerdings - und bei diesem Thema wird der Chef durchaus emotional - werde eine solche Handlungsweise von niemandem honoriert. Im Gegenteil: Spitzenmanager großer Kapitalgesellschaften dürften mit fremden Geldern ihrem Größenwahn freien Lauf lassen, Firmen zukaufen und quasi ins Blaue hinein investieren, um sich später - eine millionenschwere Abfindung unterm Arm - bei Banken, Staat und Steuerzahler in den frühen Ruhestand zu verabschieden. "Das Abzocken ist heute doch gang und gäbe", sagt Grupp, und Beispiele dafür kennt er genügend: Den Baulöwen Schneider etwa, dem die Deutsche Bank auf den Leim gegangen ist, oder den ehemaligen Daimler-Chef Edzard Reuter, dessen kühne Pläne vom Technologiekonzern zweistellige Milliardenbeträge und dreißigtausend Arbeitsplätze gekostet haben. Die Zeche dafür, sagt Grupp nicht zu Unrecht, geht zu Lasten der Allgemeinheit. Die Verursacher der Misere indessen dürfen einem vergoldeten Lebensabend entgegen sehen.
Shareholder value, der magische Begriff der neunziger Jahre, ist für Grupp vor dem Hintergrund zahlreicher Skandale längst zum Reizwort geworden, denn seit alle nur mehr auf die Aktienkurse starren, macht sich Kurzsichtigkeit breit - gleichermaßen bei Aktionären wie bei Managern. Müssten die Topmanager wenigstens eine Haftung in der Höhe ihrer eigenen Bezüge übernehmen, so sähe die deutsche Wirtschaftslandschaft um einiges besser aus. Für Unternehmer, die - wie er selbst - persönlich für die eigenen Entscheidungen gerade stehen und damit zwangsläufig weitsichtig denken und handeln, wünscht sich Grupp zumindest eine deutliche Besserstellung in der Einkommensbesteuerung.
Ein Feind der "Schnösel"
Anders als andere Wirtschaftslenker sucht Grupp die Schuldigen für die aktuelle Malaise nicht nur bei Gewerkschaften und Politikern, sondern auch und gerade bei seinen eigenen Kollegen - seien es doch zu einem großen Teil die Unternehmer und Manager, die den Standort Deutschland zu dem gemacht haben, was er heute ist. Die smarten Vertreter der new economy, jene "Schnösel, die die Welt erobern wollten, Milliarden in den Sand gesetzt und Millionen kassiert haben, während sich die Arbeiter für ein paar Euro die Finger krumm arbeiten müssen" hätten nur das Vertrauen in die Wirtschaft verspielt. Unternehmer und Politiker seien deshalb dazu aufgerufen, dieses Vertrauen wieder her zu stellen.
Dabei macht der Trigema-Chef kein Hehl daraus, dass er für eine Rückkehr zu traditionellen kaufmännischen Werten - Anstand, Verantwortungsbewußtsein und Leistung - eintritt. Und mehr noch: "Wir (Unternehmer und Manager) müssen nachhaltige Erfolge produzieren, und da muss man auch für die Zukunft in Vorleistung treten." Deutschland bräuchte dringend mehr Querdenker von der rauen Alb.