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"Das Problem sind die Ungleichgewichte in der Eurozone"

Von Thomas Seifert

Wirtschaft

Der Ex-Fed-Chef über Euro-Krise, Inflation und die Zukunft der Banken.


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"Wiener Zeitung": Die Euro-Krise wird langsam zur unendlichen Geschichte. Ab September warten wieder Krisengipfel . . .Paul Volcker: Die Euro-Krise wird noch länger andauern. Ich war ja von Anfang an vom Euro überzeugt und bin es auch jetzt noch. Europa muss die Probleme so lösen, dass das Überleben der gemeinsamen Währung gesichert ist. Dass das schwierig ist, wissen alle. Auf der einen Seite braucht Europa Finanzierung, auf der anderen Seite muss gespart werden. Niemand kann sagen, was in den nächsten Monaten passiert.

Die einen sagen, die Krise könnte mit Eurobonds beendet werden oder indem die Europäische Zentralbank jenes Geld, das nun benötigt wird, einfach druckt. So könne man das Problem einfach weginflationieren.

Nonsens. Unsinn. Es gibt keine einfache Lösung.

Eurobonds sind aber auch keine Lösung . . .

. . . keine permanente Lösung. Außerdem: Es herrscht keine Einigkeit über Eurobonds, niemand wird sein Scheckbuch zücken und einfach die Schulden, die manche angehäuft haben, übernehmen.

Als Sie 1979 Vorsitzender der US-Bundesbank Fed wurden, standen Sie vor ungeheuren Inflationsproblemen, der Ölpreis war am Plafond. Stehen der heutige Fed-Chef Ben Bernanke oder EZB-Chef Mario Draghi vor noch schlimmeren Problemen als Sie damals?

Diese Krise ist sehr, sehr schwierig. Gut, wir hatten damals ein Inflationsproblem und eine ziemlich schwere internationale Krise im Iran. Aber so schwer das auch damals war, das ist nichts im Vergleich mit der Krise, mit der wir seit 2008 zu kämpfen haben. Diese Krise ist viel komplizierter. Zu meiner Zeit hatten wir auch eine Bankenkrise. Aber heute habe wir es mit einer Bankenkrise und einer Menge anderer Krisen zu tun.

2008 glaubten die Europäer ja, das Platzen der Immobilienblase sei eine reine US-Krise. Sie glaubten, dass Europa recht immun bleiben wird. Warum hat es die Europäer eigentlich so schwer erwischt?

Naja, Spanien erlebte das Platzen einer Immobilienblase, Irland auch. Relativ größer übrigens als die Immobilienblase in den USA. Das zweite Problem vieler Staaten Europas ist ähnlich wie das Problem der USA: Unserer Wirtschaft ist sehr vom Konsum abhängig und wir machen eine Menge Auslandsschulden. Griechenland, Spanien und Italien haben da ein sehr ähnliches Problem. Viele Länder waren vom Geld, das durch chinesische Kapitalzuflüsse billig geworden ist, abhängig. Dass diese Party eines Tages vorbei sein wird, war natürlich klar.

Deutschland, Niederlande, Österreich, Finnland erzielten aber Leistungsbilanzüberschüsse. Sind diese Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone nicht auch das Problem?

Keine Frage. Diese Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone sind sogar die Basis des Problems.

Aber was sollen wir nun tun? Die Löhne in Österreich und Deutschland rauf, mehr griechisches Olivenöl oder italienische Pasta auf den Tisch, einen Urlaub in Spanien buchen?

Da gibt es keine Instant-Lösung. Man kann nicht einfach Löhne rauf- oder runterfahren, so als ob man einen Schalter umlegt, oder Inflation rauf oder runterfahren, wie bei einem Thermostat.

Aber man könnte das Problem weginflationieren . . .

Ich erachte Inflation nicht als taugliches Mittel zur Problembekämpfung, Inflation schafft Probleme und löst sie nicht.

Aber zu einem gewissen Anteil tun wir das bereits: Am Konto gibt’s Zinsen nahe null, aber die Inflationsrate lag in Österreich im Juli bei 2,1 Prozent.

Wir haben billiges Geld, keine Frage. Aber wir wollten doch nicht über Europa sprechen, sprechen wir doch über die neuesten Filme oder so was, dann hätten wir ein viel netteres Gespräch . . .

Stimmt. Aber doch zurück zu den ernsten Dingen des Lebens: Also, diese Phase, in der wir nun sind, Zinsen nahe null, Inflationsrate über zwei Prozent. Wann ist eigentlich der Punkt erreicht, wo Inflation gefährlich wird?

Inflation wird im Aufschwung ein Problem, wenn die Wirtschaft sich erholt. Dann muss gehandelt werden. Aber ich sehe den Aufschwung noch nicht.

Wie lange dauert das noch? Fünf bis sieben Jahre?

Wenn Sie erwarten, dass ich darüber spekuliere, muss ich sagen: Sie träumen, guter Mann.

Was muss nun getan werden, um Krisen für die Zukunft auszuschließen? Soll das Glass-Steagall-Gesetz, in dem die Trennung von Investment- und normalen Banken festgehalten ist, wieder eingeführt werden? Manche Ökonomen haben diese fehlende Trennung als Mitursache der Spekulationsblase, die 2008 mit großem Knall geplatzt ist, identifiziert.

Ich bin da nicht davon überzeugt. Die Stimmen, die die Wiedereinführung von Glass-Steagall fordern, werden aber lauter.

Warum sind Sie nicht davon überzeugt, dass die Wiedereinführung von Glass-Steagall notwendig ist?

Ich glaube, wir müssen nicht so weit gehen, ich bin eher ein Mann des Mittelwegs. Was ich aber glaube: Es muss strukturelle Änderungen geben, die die Banken daran hindern, Spekulationsgeschäfte auf eigene Rechnung zu machen. Obwohl diese Banken erwarten können, dass der Staat seine schützende Hand darüber hält, falls etwas schiefgeht.

Das ist die "Volcker-Regel". Sie sind der Vater dieser Idee.Das ist tatsächlich der Fall.

Noch einmal: Was spricht gegen die Aufsplitterung der Banken? Auf der einen Seite steht das Casino mit den hochriskanten Geschäften; wenn da was schiefgeht: Pech. Auf der anderen Seite stehen traditionelle Bankhäuser mit ganz konservativen, man könnte auch sagen: langweiligen Bankgeschäften.

Weil das weiter geht als notwendig. Einiges von dem, was die Banken tun, ist nicht besonders spekulativ, aber wäre unter dem Glass-Steagall-Regime nicht mehr erlaubt. Die Banken machen heute eine Menge Investitions-Management, sie geben Beratungsdienstleistungen bei Mergern, bei Akquisitionen, sie bieten Underwriting, also Rückversicherungen. Es geht doch darum: Was ist im Interesse der Kunden? Da gibt es eben Dinge, die zwar risikoreich sind, aber nicht unbedingt spekulativ. Wenn man all diese Aktivitäten einschränkt, dann schwächt man das Bankensystem und es wird kleiner und kleiner. Ich würde gerne ein Bankensystem haben, das stärker wird, nicht eines, das schwächer wird.

Aber ist nicht eines der Probleme, dass das Bankensystem zu groß geworden ist? Fast 40 Prozent der Unternehmensgewinne in den USA wurden 2007, vor dem Ausbruch der Krise, im Finanzdienstleistungssektor erzielt.

Die Frage ist aber: Gab es da 2007 wirklich Profite? War das ein wirklicher Fortschritt an Wirtschaftseffizienz? Es stimmt schon: Viel zu viele Ressourcen gingen in die Finanzdienstleistungen. Viel zu viele talentierte Leute gingen zu Banken, Brokern, Hedge Funds. Da wurden Geschäfte gemacht, die keine Effizienzsteigerung brachten.

Die Banken haben bei der Bevölkerung Vertrauen verspielt, man beschimpft die Banker als Bankster.

Nicht nur die Bevölkerung hat das Vertrauen in die Banker verloren, die Banker haben Vertrauen zueinander verloren. Dadurch ist das ganze System fast zum Zusammenbruch gekommen. Und das System funktioniert auch heute noch nicht friktionsfrei. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Krise noch nicht vorüber ist. Wir müssen das Vertrauen in die Banken wiederherstellen.

Paul Volcker (geboren 1927) war
von 1979 bis 1987 Vorsitzender der Federal Reserve in den USA. Er war
von 2009 bis 2011 Vorsitzender einer Beraterkommission für US-Präsident
Barack Obama. Er war Gast beim "Salzburg Global Seminar" im Schloss
Leopoldskron, wo er mit einer Reihe renommierter internationaler
Experten über die Regulierung der Finanzmärkte diskutierte.