Viele befürchten neue Manipulation zugunsten Karzais. | Sicherheit in 70 Prozent des Landes nicht gegeben. | Tauziehen um Disqualifizierung von Kandidaten. | Kabul. Fahima ist gekommen, um um Rat zu fragen. Die attraktive Frau um die 30 kandidiert für das afghanische Parlament. Ob nicht die Nato oder die UNO vielleicht ihren Wahlkampf finanzieren könnten, fragt sie die Gruppe von Ausländern, die in einem Büro in Kabul sitzen und staunen. | Ein hoher Preis für den Mut
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Fahima, die ein Bodybuilding-Studio betreibt, ist enttäuscht, dass der Westen ihr nicht helfen kann. Immerhin hatten die doch die Demokratie eingeführt. Nicht nur Fahima geht in diesen Tagen von Haus zu Haus, um Unterstützung bei der demokratischen Vertretung des afghanischen Volkes zu suchen. Allein in Kabul sind mehr als 500 Kandidaten registriert, im ganzen Land sollen es über 2.500 sein, die sich um die 249 Sitze bewerben.
Wenig Erfahrung mit Demokratie
Am 18. September soll das von Krieg und Aufstand erschütterte Land zum zweiten Mal eine neue Volksvertretung bestimmen. Das Land hat wenig Erfahrung mit Demokratie nach westlichem Muster.
Das Verhältnis zwischen dem Präsidenten und dem Parlament ist das Verhältnis zwischen zwei Geschäftsleuten", sagt Ramazan Bashardost, der frühere Planungsminister, der bei der Präsidentenwahl 2009 gegen Karzai angetreten war. "Es gibt ein Handel zwischen Karzai und dem Parlament: Wie viel gibst Du mir für meine Stimme?"
Die Präsidentenwahl im vergangenen Jahr war von massiven Wahlbetrug überschattet gewesen. Viele Beobachter waren schon damals der Meinung, dass die Sicherheit für die Abhaltung einer freien und fairen Wahl nicht gegeben war. Ein Jahr später hat sich die Lage noch weiter verschlechtert. Die Taliban kontrollieren inzwischen wieder um die 70 Prozent des Landes.
"In meiner Provinz gibt es keine Sicherheit", kritisiert Mullah Malang, der in der Badghis-Provinz, im Westen des Landes kandidiert. "Sie können die Wahlurnen nur noch in die Provinz- und Distrikthauptstädte bringen. Die Leute werden dort nicht hinkommen."
Präsident Karzai will ein "Chef-Parlament"
Präsident Karzai versuche mit der Wahl ein "Ja, Chef-Parlament" zu schaffen, "wo er wie ein König herrschen und tun kann, was er will." Mullah Malang erzählt, dass in seiner Provinz rund 400.000 Menschen auf der Wahlliste stehen. "Nicht mehr als 20.000 werden zur Wahl gehen."
Das afghanische Parlament ist auf Grund des in der Verfassung festgeschriebenen Präsidial-Systems sowieso eine eher schwache Institution. Weil im Land politische Parteien kaum eine Rolle spielen, wird die Rolle des Präsidenten weiter gestärkt und die der Volksvertreter geschwächt. Jeb Ober von der amerikanischen Organisation "Democracy International" in Kabul erklärt das so: "Es gibt eine weit verbreitete Abneigung gegen Parteien, weil die mit der kommunistischen Ära verbunden werden. Nur um die zehn Prozent der Kandidaten sind mit einer Partei verbunden." Der Rest registriere sich unabhängig.
"Das System", so gesteht Ober ein, "befördert die Wahl eines "starken Mannes" in der Provinz. Ober sieht dennoch Fortschritte: "Die meisten Leute stimmen zu, dass die neue Wahlkommission weniger parteiisch ist."
Auch andere sehen positive Entwicklungen: "Alles ist besser als 2005 - außer die Disqualifizierung von Kandidaten", sagt die Mitarbeiterin einer Menschenrechtsorganisation in Kabul. Die Disqualifizierung von Kandidaten spielt in westlichen Demokratien kaum eine Rolle, ist aber in allen Staaten ein großes Thema, die gerade einen Krieg oder Konflikt überstanden haben.
Denn die Disqualifizierung soll vermeiden helfen, dass Kandidaten mit verbrecherischer Vergangenheit eine zweite politische Karriere im Parlament beginnen. Gerade in Afghanistan dürften einige Kandidaten nicht auf der Wahlliste stehen, weil sie Menschenrechtsverletzungen begangen haben, weil sie mit der Drogenmafia liiert oder schlicht korrupt sind.
Doch niemand wollte gerne die Liste der disqualifizierten Kandidaten aufstellen. Erst wanderte die Aufgabe in der Verwaltung eine Weile hin und her, dann waren nur fünf Namen auf der Liste. Weil das dann doch als zu gering angesehen wurde, begann die Arbeit an einer zweiten Liste. Die meisten davon kennt kein Mensch.
An die 1000 Wahllokale bleiben zu
Bereits die Präsidentenwahl im vergangenen Jahr war mehr eine Show-Veranstaltung des Westens als eine genuin afghanische Angelegenheit. Auch die Parlamentswahl im September wird vermutlich als ein Erfolg des Westens beim Aufbau des bettelarmen Landes gefeiert werden. Doch angesichts der prekären Sicherheitslage gibt es nicht einmal einen wirklichen Wahlkampf. An die 1000 Wahl lokale müssen aus Furcht vor den Taliban geschlossen bleiben.