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"Das Recht ist immer der Hase und immer zu spät dran"

Von Bettina Figl

Politik

Neues Strafgesetz soll 2015 in Kraft treten - größte Reform seit fast 40 Jahren.


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Wien. Zwei Jahre Haft, davon acht Monate unbedingt: Zu dieser Haftstrafe wurde ein 24-Jähriger wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer 13-Jährigen am Freitag verurteilt. Doppelt so lange, gleich vier Jahre, soll der ehemalige Innenminister Ernst Strasser wegen Bestechlichkeit absitzen.

Hohe Strafen bei Vermögensdelikten und verhältnismäßig geringe Strafen bei Verbrechen, die Leib und Leben gefährden, werden von der Bevölkerung als ungerecht empfunden, sagte Justizministerin Beatrix Karl am Freitag. Auch das führte sie als Grund für die in den Startlöchern stehende Reform des fast 40 Jahre alten Strafgesetzbuches (StGB) an. Experten sollen es nun evaluieren und Vorschläge für die Generalerneuerung machen.

Einige Beispiele für die derzeitige Schieflage: Laut Gesetz ist es nur dann Einbruch, wenn konventionelle Schlösser geknackt werden, nicht aber, wenn ein Einbrecher in eine Wohnung eindringt, die via Zahlencode versperrt ist. Auch Identitätsklau in Sozialen Netzwerken ist ein Novum, mit dem sich das Strafrecht befassen soll. Überdies will man prüfen, ob es Tatbestände wie "Unterschiebung eines Kindes" oder "Sach- und Geldwucher" noch braucht, kündigte die Wiener Strafrechts-Vizedekanin Susanne Reindl-Krauskopf, eine der Expertinnen, an.

Diese soll ergebnisoffen und ohne Vorgaben agieren. "Ich kann nicht sagen, was herauskommt", sagt Karl, und kündigte zugleich an: "Das wird die größte Reform seit 40 Jahren." Karl stellte aber auch klar, dass es die Reformen erst nach den politischen Debatten geben wird, und: "Ich bin überzeugt, das werden heftige politische Auseinandersetzungen."

Die Ergebnisoffenheit begrüßt Helmut Fuchs, Strafrechtler am Institut für Kriminologie der Universität Wien und sagt: "Im Reformprozess kann die Wissenschaft einen großen Beitrag leisten." Seiner Ansicht nach sollten nun grundsätzliche Fragen zu Rechtsfolgen, Generalprävention oder Strafzumessung behandelt werden.

Debatte erst nach der Wahl

Die politische Debatte und den Beschluss des neuen StGB wünscht sich Karl jedenfalls erst nach der Nationalratswahl, also wohl erst ab Frühjahr 2014, denn "der Reformprozess soll nicht durch politischen Populismus" überschattet werden. Die Notwendigkeit zur Reform begründete die Ministerin durch die laufenden Änderungen - insbesondere bei mit EU-Recht harmonisierten Regelungen - im StGB, wodurch die Gesamtsystematik gelitten habe. "Für diese Unstimmigkeiten sind vor allem punktuelle Änderungen, die zum Teil auch Anlassgesetzgebung waren, verantwortlich", sagt Fuchs.

Technologischer Fortschritt

Dass zuerst Experten beraten und dann die Politiker, befürwortet der Rechtsphilosoph Richard Potz, Vorstand des Instituts für Rechtsphilosophie an der Universität Wien. Dass das Gesetzesbuch aus 1975 einer Neubearbeitung bedarf, ist für ihn angesichts des technologischen Fortschritts offensichtlich - doch er betont, das Gesetz werde der Gesellschaft immer hinterherhinken: "Manchmal hat man das Gefühl, es ist wie bei der Fabel ,Der Hase und der Igel‘, und das Recht ist der Hase - wenn man ankommt, ist das Problem schon ein ganz anderes."

Rechtsphilosoph Potz sagt, das Recht benötige die Stabilität der Zeit, doch die Dynamik der Entwicklung sei dafür oft zu groß: "Recht und Zeit werden zu immer dringlicheren, grundsätzlichen Fragen bei allen Reformen."

Ein Jahr lang hat die von Karl gestellte Arbeitsgruppe Zeit, im Frühjahr 2014 sollen die Ergebnisse der Experten präsentiert werden. In Kraft treten soll das Gesetz dann am 1. Jänner 2015. Bei einer im Mai stattfindenden Enquete sollen auch Interessierte eingebunden werden, so Karl, sie stellte aber auch klar: "Das neue Strafgesetzbuch soll nicht von der Öffentlichkeit gemacht werden."

Und wie ist das nun mit der Verhältnismäßigkeit? Fuchs befindet die Strafen für gewaltlos begangene Vermögensdelikte zu hoch, doch der Strafrahmen für Betrug oder Untreue müsse eben auch für Fälle wie die Bawag mit Milliardenschaden ausreichen und für solche Fälle sei ein Ausschöpfen des Strafrahmens von zehn Jahren richtig. Im Normalfall müsse man aber weit drunter bleiben, damit die Relation zu den Leib- und Lebensdelikten gewahrt wird.