Zum Hauptinhalt springen

Das Recycling der Zellen

Von Alexandra Grass

Wissen

Der japanische Zellbiologe Yoshinori Ohsumi erhält den diesjährigen Nobelpreis für Physiologie und Medizin.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Stockholm/Wien. Seine Forschungen brachten ein neues Verständnis für Recyclingprozesse innerhalb von Zellen und lieferten als Abschluss jahrzehntelanger wissenschaftlicher Arbeiten den letzten Puzzlestein auf einem Gebiet, das Autophagie genannt wird. Für viele physiologische Abläufe ist dieser Mechanismus, der auch als "Selbstverdauung" in Zellen bezeichnet wird, von Bedeutung - und für das Immunsystem ist er ein wichtiger Faktor.

Am Montag wurde dem japanischen Zellforscher Yoshinori Ohsumi für seine Erkenntnisse von den Juroren des Karolinska Instituts in Schweden der diesjährige Nobelpreis für Physiologie und Medizin zuerkannt. Dies ist insgesamt bereits der dritte Nobelpreis für das komplexe Forschungsgebiet rund um diese Zellabfallbeseitungsmaschinerie.

Mit Hefezellen zum Schlüssel

Mitte der 1950er Jahre waren Forscher auf ganz bestimmte in den Zellen angesiedelte Organellen aufmerksam geworden, die Lysosomen. Diese beinhalten Enzyme, die Eiweiße, Kohlenhydrate und Fette verdauen und damit als Magen der Zelle gelten. Der belgische Wissenschafter Christian de Duve war dafür verantwortlich und 1974 mit dem Nobelpreis geehrt worden. Der zweite auf diesem speziellen Gebiet wurde im Jahr 2004 den Forschern Aaron Ciechanover, Avram Hershko und Irwin Rose zuteil. Sie entdeckten in den 1970er und 1980er Jahren einen zweiten Müllbeseitungsmechanismus in der Zelle - im sogenannten Proteasom, das falsch gefaltete Proteine abbaut.

Offen blieb allerdings, wie Zellen die großen Komplexe beseitigen können. Mittels Bäckerhefezellen, die häufig als Modell für menschliche Zellen genutzt werden, fand der am Tokyo Institute of Technology forschende Yoshinori Ohsumi in den 1990er Jahren den Schlüssel dazu. Er entdeckte, wie diese Proteinkomplexe und Organellen von einer Membran umgeben werden und schließlich mit den Enzym-gefüllten Lysosomen verschmelzen. Dort werden sie beseitigt. Seine 1992 publizierten Ergebnisse galten als Durchbruch.

Nur ein paar Monate später entdeckte er die ersten dafür verantwortlichen Gene. Die Resultate zeigten, dass die Autophagie von einer Kaskade an Proteinen und Proteinkomplexen kontrolliert wird. Insgesamt identifizierte Ohsumi 15 Gene. Es handelt sich um den einzigen Mechanismus, mit dem Zellen ganze Organellen beseitigen können. Mit der Zeit erlangte er auch das Wissen darüber, dass dieser Mechanismus auch in den menschlichen Zellen vor sich geht.

"Dank Ohsumi und anderen Forschern, die in seine Fußstapfen getreten sind, wissen wir heute, dass Autophagie wichtige physiologische Funktionen im Zellrecycling kontrolliert", heißt es in einer Pressemitteilung des Karolinska Instituts. Und weiter: "Das schnelle Herbeiführen der Autophagie stellt einen Schutzmechanismus für verschiedene Stressfaktoren dar und ist auch eine Abwehr bei einer Verletzung der Zelle oder von altersbedingten Krankheiten." In Folge einer Infektion werden mit Hilfe der Autophagie Bakterien und Viren eliminiert. Sie leistet ihren Beitrag auch in der embryonalen Entwicklung und der Zelldifferenzierung.

Eine gestörte Abfallbeseitigung wird mit Erkrankungen wie Parkinson, Diabetes Typ 2, aber auch Krebs in Verbindung gebracht. Durch weitere intensive Forschungen erhoffen sich die Wissenschafter die Entwicklung von Medikamenten, die bei verschiedenen Erkrankungen in den Mechanismus dieses Recyclings einwirken können.

"Autophagie ist seit mehr als 50 Jahren bekannt, aber ihre fundamentale Bedeutung in der Physiologie und Medizin wurde erst mit den Forschungen Yoshinori Ohsumis deutlich", so das Nobelpreiskomitee.

Auf seine Auszeichnung reagierte Ohsumi mit einem Seufzen, wie Thomas Perlmann, Sekretär des Nobelteams erzählte. "Er wirkte überrascht, seine erste Reaktion war: ,Ach‘ ... Ich glaube, er hat das wirklich nicht erwartet." Perlmann hatte kurz zuvor mit dem Laureaten telefoniert.

Wichtig sei die Forschung für das Verständnis von neurodegenerativen Erkrankungen, erklärte die Autophagie-Forscherin Claudine Kraft von den Max Perutz Laboratories in Wien die Bedeutung dieses Fachbereiches. "Wenn man bei Mäusen ausschließlich im Gehirn die Autophagie ausschaltet, kommen sie zwar lebend zur Welt. Sie zeigen aber sofort Symptome von Morbus Alzheimer und Morbus Parkinson." Das weise darauf hin, dass dieser Prozess für das Funktionieren des Organismus einfach notwendig sei.

Er wollte etwas anderes tun

Yoshinori Ohsumi wurde am 9. Februar 1945 in Fukuoka geboren. Während seines Studiums wechselte er von der Chemie zur damals im Aufbruch befindlichen Molekularbiologie. Sein Forschungsfeld führte ihn von der DNA-Duplizierung von Weizenzellen bis hin zu den Hefezellen, die ihm nun den mit umgerechnet 831.000 Euro dotierten Nobelpreis einbrachten. Auf die Frage, warum er sich auf die Auflösung und nicht auf die Zusammensetzung von Proteinen fokussiert habe, sagte der Wissenschafter gegenüber dem japanischen Fernsehsender NHK: "Ich wollte etwas tun, das die anderen nicht taten."

Die Auszeichnung für Medizin war am Montag der Beginn des diesjährigen Nobelpreisreigens. Heute, Dienstag, und am Mittwoch werden die Träger des Physik- und des Chemienobelpreises von den Juroren bekannt gegeben. Es folgen der Friedens-, der Literatur- sowie der von der schwedischen Reichsbank gestiftete Wirtschaftsnobelpreis.